20020524.00

     All unser denken bedarf eines Ankers im Erleben; und
verschiedene Gedankenreihen unterscheiden sich von einander in
dem masse in welchem sie in ihrem Fortschreiten ans erleben
gebunden sind, in welchem Masse also sie immer wieder zum Erleben
zurueckkehren muessen unm sich an ihm zu erfrischen oder zu
erneuern, oder in welchem Masse das Denkverfahren nun
selbststaendig, unabhaengig vom Erleben ist; sich mittels
lebhafter und eindrucksvoller Begriffe sozusagen ein eigenes
synthetisches Erleben schaft, danach es sich richtet und daran es
sich ernaehrt.

     Ich habe weiter in Leibniz Monadologie gelesen, habe sie bis
zu Ende gelesen, und bin zu dem beschluss gekommenb, dass es das
Bewusstsein des Ich, das Selbstbewusstsein, mit anderen Worten,
dass es das Seelenerlebnis ist, welche den Ausschlag zur
Monadologie gegeben hat; dass entsprechend der Cartesischen
gleichsetzung der Ausdehnung und Teilbarkeit mit der
Stofflichkeit der Dinge, die Immaterialitaet der seele dazu
bestimmend wurde, dass die Monaden unteilbar seien; und dass aus
ihrer logisch-mathematischen Unteilbarkeit auf ihre
Unstofflichkeit, auf ihre Geistigkeit zu schliessen ist, und dass
ihre Unteilbarkeit sie vor dem Entshehen und Vergehen stofflicher
Dinge schuetzt so dass sie nur durch einen goettlichen
Schoepfungsakt entstehen, und nur durch einen goettlichen
Vernichtungsakt vergehen koennen.

     Es liegt hinter, unter oder ueber diesem Denken die
Vorstellung, der Geist, the ghost, das Gespenst des
Goettlichen. Man mag dies Denken als ein Ringen mit dem
Goettlichen betrechten; ob es zum Segen fuehrte, ob es zum heil
oder zum Unheil fuehrte, wer es denn war der in diesem Kampf
siegte, - das mag dahingestellt bleiben.

     Man muss sich, um diese Texte zu verstehen, die
ausdrueckliche (explicit) Bedeutung Gottes im herkoemmlichen
Denken vergegenwaertigen, Gottes als des ursprungs allen Seins,
als Schoepfer der Welt, als das sie naehrende und erhaltende, das
sie regierende und das sie richtende Prinzip. Und dann muss man
betrachten und bedenken, wie diese Funktionen, diese Wirkungen
des Goettlichen, Stueck fuer stueck von anderen Erklaerungsweisen
ersetzt wurden, ein Verfahren das noch jetzt im Gange ist, jetzt
noch nicht vollendet ist und vielleicht nie vollendet sein wird.

     Die Monadologie und die Theodizee sind denn auch Schritte in
dieser Richtung , welche den Anfang damit macht das Gottesprinzip
durch ein anderes, durch eine neue Denkweise, durch eine neue
Denkungsart zu ersetzen; und man tut unrecht, wenn man beklagt,
dass Leibniz in einem so hohen Masse (Grad) noch auf dem Gebiete
des herkoemmlichen gottesverstaendnisses verweilte. Denn das
Denken ist, besonders auf diesem Gebiet, auf diesem Gebiete nicht
weniger und vielleicht mehr noch als auf anderen, eine
Gemeindesache eine Communalangelegenheit.

     Der Mensch seht unter grossem gesellschaftlichen Druck, noch
heute wenn er das Goettliche verleugnet; nicht nur
gesellschaftlich, sondern rein persoenlich, psychologisch,
seelisch fuehlt er eine Angst Gott abzuleugnen: und dies eben
darum, weil er sich in so hohem Masse abhaengig von dem fuehlt,
was Gott genannt wird, weil er sich der Unvollkommenheit, der
Schwaeche, der Unzulaenglichkeit seines eigenen Daseins bewusst
ist, weil er sich als hilfsbeduerftig empfindet, weil er meint
der Assistenz eines Gottes zu betduerfen um sein Leben zu
vervollkommnen, oder auch nur um es zu erhalten.

     Ich wage es nicht zu beurteoilen, ob eine Welt in welcher
Gott mittels einer Verwandlung der menschlicen Denkens
ueberfluessig und ausgeschliossen wird, ob eine solche Welt
schlechter oder besser oder ununterscheidbar von der mit Gott
durchtraenkten sein sollte.

     Man sollte sich fragen, in wie fern die angebliche
Verinnerlichung Gottes welche mit der Reformation anhub und
welche sich bis in unsere Zeit hinaus zieht, inwiefern diese
Verinnerlichung ein Vorwand ist oder die Gelegenheit bietet die
Konstellation der Gottesbegriffe durch andere Denkweisen zu
ersetzen. Ob die vermeintliche Verinnerlichung Gottes mit diesen
Denkweisen vereinbar waere, oder sie vielleicht sogar in
positiver Weise foerderte.

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