20020526.01

     Die Philosophie, sogenannt, liegt an der aeussertsen Grenze
menschlicher Denkfaehigkeit, und ist demgemaess weniger
verlaesslich, als man geneigt ist vorauszusetzen. Ich komme immer
wieder zu dem Beschluss, nicht nur, dass ich die Schriften der
Vorgaenger nur teilweise, fragmentarisch verstehe; und vielleicht
reift mir aus diesem meinem unvermoegen der weitere Beschluss,
dass auch andere sie nicht verstehen, und ins besondere, dass die
anerkannten Philosophen einander auch nicht verstanden haben,
jedenfalls nicht restlos, immer nur bis zu einem gewissen Grad.
Und zu einem gewissen Grad verstehen, heisst letzten Endes
garnicht verstehen. Letzten Endes, meine ich, ist die Philosophie
wohl unverstaendlich; und der Wunsch zu philosophieren ist nichts
mehr oder weniger als der Drang sich mit dem Unverstaendlichen
auseinanderzusetzen, mit ihm zu ringen.  Die Zusammenfassungen
des Inhalts philosophischer Schriften, vor allem Geschichten der
Philosophie, sind, was die Verfasser solcher Zusammenfassungen
anbelangt, Taeuschung, im allgemeinen wohl unbewusst; schichten
dann eine neues Stratum der Verwirrung auf das ansich schon
unentwirrbare Thema.

     Philosoph ist nicht derjenige, der die Geheimnisse des
Lebens entraetselt hat, sondern der, der sie ernst genug genommen
hat um mit ihnen zu ringen.

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