20020604.00
Ich bemuehe mich redlich Diltheys Lobpreisungen zu begreifen
mit welchen er die Bedeutung von Leibnizens Leben und die
Gueltigkeit von Leibnizens Gedanken ueberhaeuft. Ich bin mir
bewusst wie natuerlich, wie selbstverstaendlich es ist, dass man
kritisiert was man nicht versteht, und ich weiss auch wie
schwierig es ist den Unsinn des Verfassers vom Unverstand des
Lesers zu trennen; und dies ins besondere weil weder Sinn noch
Verstand je einwandfrei sind; Denn auch die sinnreichsten
Gedanken haben ihre Grenzen, nicht weniger als das grosszuegigste
und feinfuehligste Verstehen.
Ich sehe in Leibniz ein Spiegelbild der geistig-seelischen
Verwuestung des grossen Krieges, das dringende Beduerfnis Frieden
zu machen mit Gott, mit der Natur, mit den Menschen und mit sich
selbst, ein Beduerfnis das dies Friedens halber eine hohe
intellektuelle Praemie zu zahlen bereit ist.
Ich begreife Leibniz in dialektischem Sinne als Merkmal
(Monument) dier uebergrossen Schwierigkeit, der Unmoeglichkeit
der Probleme welche er anschnneidet und welche zu beantworten er
beansprucht, die kosmologische Frage nach dem Ursprung und der
Erhaltung der Welt, die theologische Frage nach dem Wesen Gottes,
die ethische Frage nach der Freiheit des Willens. Leibnizens
Verdienst, wenn irgend, ist nicht dass er diese Fragen loest,
sondern dass er mit der vermeintlichen Loesung die Unloesbarkeit
unverkennbar macht. Ich bestreite nicht, dass dergleichen
vermeintlichen Loesungen nicht sehr eindrucksvoll, dass sie nicht
aethetisch anziehend sein koennen, ist doch die Integralrechnung
im tiefsten Sinne eine Darstellung des Phaenomens der Ausdehnung,
nicht eine Resolution (Aufloesung) der ihr inbegriffenen
Widersprueche (der unendlichen Teilbarkeit).
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