20020710.01

     Die Schwaeche von Schopenhauers Werk liegt, paradozer Weise,
bei all seiner Feinfuehligkeit, seiner literarischen
Sensibilitaet, in der Unzulaenglichkeit der Darstellung.  Es ist
eine intuitif zu begreifen, dass die Welt Vorstellung ist.  Ein
anderes aber ist der Anpsruch diese Intuition in einer
schriftlichen Darstellung ausdruecklich mitzuteilen.  Es liegt in
dieser Anmassung ein Widerspruch: denn wenn die Welt an sich
schon Vorstellung ist, so ist die Beschreibung dieser Vorstellung
ein weitere Vorstellung noch hoeheren Grades.  Die Erkenntnis der
Vorstellung ist eine Handlung, und diese Handlung muss jeder
Mensch fuer sich selbst vollziehen, uch die Faehigkeit diese
Handlung zu begehen ist eine Kunst, ist eine Gnade welche man
vielleicht dem anderen ablernt, in welche man sich einuebt, an
deren Vervollkommnung man vielleicht sein Leben setzen mag. Aber
durch Dogma ist diese Faehigkeit nicht mitzuteilen, genausowenig
wie der Glaube durch Dogma mitgeteilt zu werden vermag.

     Lass uns die Erkenntnis der Welt als Vorstellung als den
Zweifel an der gedeuteten Welt bezeichnen.  Glauben aber mag man
als Ueberzeugung von der Wirklichkeit des Unsichtbaren
bezeichnen; als Ueberzeugung von einer Wirklichkeit die uns nicht
zugaengig ist.  Tatsaechlich mag man dann behaupten, dass sich
dieser Zweifel mit dem Glauben deckt. (coincides with) Dass der
Glaube an die Jenseitigkeit, an der Unerreichbarkeit des
Wirklichen mit dem Zweifel an der Diesseitigkeit, an der
Greifbarkeit des Wirklichen uebereinstimmt.

     Daraus folgt dass der religioese Glaube und der
philosophische Zweifel beides Lebenshaltungen sind, welche das
Geistesleben des Menschen durchdringen und beherrschen,
Lebenshaltungen welche nicht ausdruecklich mitgeteilt werden
koennen sondern welche jeder Mensch selbst entdecken, selbst
entwickeln muss.

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