20020731.06
Zweifel und Glaube haben jedenfalls im gewoehnlichen
Gebrauche dieses gemeinsam, dass sie Aussagen betreffen die man
annimmt oder ablehnt, die man fuer wahr oder falsch anerkennt,
die man dementsprechend glaubt oder die man bezweifelt. Auch
muss die theologische Anwendung dieser Ausdruecke bedacht
werden, wo das Glaubensbekenntnis als die persoenliche
Bestaetigung einer heiligen Behauptung gelten soll, eine
Bestaetigung welche dem Glaubenden die ewige Seligkeit gewaehrt.
Der Zweifel ist die Leugnung der heiligen Behauptung, eine
Leugnung welche wiederum das ewige Verderben nach sich zieht.
Von diesen theologischen Aspekten der Begriffe moechte ich hier
vorerst absehen, in der Absicht spaeter auf die tiefere
Verbundenheit des Sakralen mit dem Weltlichen, welche diese
Ausdruecke verbergen, zurueckzukommen.
Im Rahmen erkenntnistheoretischer Ueberlegungen moechte ich
die Begriffe Glauben und Zweifel mit besonderen Bedeutungen
bekleiden.
Den Zweifel, in erkenntnistheoretischem Sinne, betrachte ich
als das Einklammern, die Epoche, des vermeintlich Gewussten,
insofern es nicht unmittelbar im Bewusstsein gegenwaertig ist.
Diese Epoche stellt die grosse schwierige Aufgabe des Erkennens
dar, eine Aufgabe welche man nur langsam und mit Muehe zu
bewaeltigen lernt. Ich bezeichne sie mit den Ausdruecken Zweifel
oder Skepsis. Nicht im Wissen sondern im Zweifeln besteht die
Erkenntnis. Das Zweifeln ist die unumgaengliche Bedingung des
Erkennens, und das Zweifeln ist um manches schwieriger als das
vermeintliche Wissen. Deshalb ist es notwendig, dass der Mensch
sich im Zweifeln uebe. Um in dieser Aufgabe Klarheit zu gewinnen
wird es vorerst notwendig sein, den Begriff Zweifel von
ueberlieferten Missverstaendnissen zu bereinigen.
Den Ausdruck Zweifel gebrauche ich um ein besonderes
Verhaeltnis zum Wissen zu bezeichnen: keineswegs dessen pauschale
Ablehnung; aber doch eine Feststellung der Begrenztheit einer
gegebenen Behauptung. Genau betrachtet gilt der
Erkenntniszweifel den idealischen Eigenschaften des Wissens. Die
praktischen, instrumentalen Eigenschaften des Wissens laesst der
Zweifel unberuehrt; im Gegenteil, indem der Erkenntniszweifel das
Wissen von idealischen Annahmen bereinigt, laesst er die
tatsaechlichen Umstaende des Wissens umso wirksamer hervortreten.
Es ist die Eigenschaft des Erkenntniszweifels dass er das
Besondere gegen das Allgemeine betont; dass er das hervorhebt,
was dem Einzelnen zu gegebener Zeit im Gemuet waltet, und die
theoretischen Zusammenhaenge dieses besonderen gegenwaertigen
Wissens zurueck und in den Schatten der Unbestimmtheit
(uncertainty) stellt.
Der Erkenntniszweifel ist nicht weniger unterschiedlich als
das Wissen es ist, dem er gilt. Ganz im Allgemeinen gefasst: je
sicherer, je selbstverstaendlicher und unzweifelhafter ein Wissen
ist, umso schwieriger und umso entsprechend notwendiger wird es
sein dieses Wissen mittels des Erkenntniszweifels zu erklaeren
und zu laeutern. Unter den Wissensbestaenden welche dem
Erkenntniszweifel die groesste Muehe bereiten, sind die einfachen
mathematischen und logischen Aequivalenzen, welche vielfalls so
unbedingt erscheinen, dass es sehr schwierig wenn nicht gar
unmoeglich ist, die Tatsache ihrer Bedingtheit im Bewusstsein zu
erwecken und wach zu halten.
Erkenntniszweifel kleidet sich in verschiedene Gestalten.
Am unmittelbarsten ist der Zweifel an der Gewissheit der eigenen
Kenntnis, die Sokratische Einsicht, dass das Einzige das ein
Mensch zu behaupten vermag sein Nichtwissen ist, eine Einsicht
welche das Wissen auf jeder Stufe des Ausmasses und auf jedem
Grad der Gewissheit erschuettert. Es ist zugleich der
Cartesische Zweifel der es wagt alles, ausser dem unmittelbaren
Bewusstsein des Selbstseins, des Ichs, in Frage zu stellen.
Weder Sokrates noch Descartes vermochten die Raetsel zu loesen
die sich aus ihrer radikalen Skepsis ergaben. Beiden drohte ihr
Zweifel mit persoenlicher Gefahr. Im Falle Descartes bestand
diese Gefahr in der Verbannung und Verfolgung von Seiten der
Kirche, und er entzog sich ihr indem er in seinen Schriften
theologische Zugestaendnisse machte, in dem er seine Schriften
einer eigenen Zensur unterstellte, und indem er freiwillig sein
heimatliches Frankreich verliess. Sokrates hingegen war aelter
als er den Angriffen seiner Mitbuerger ausgesetzt wurde, und war
vielleicht deswegen weniger konziliant (versoehnlich). Selbst
noch in seiner Verteidigungsrede war er unbeugsam und wurde
vielleicht gerade deswegen zu Tode verurteilt. Sokrates und
Descartes hinterliessen, jeder in seiner Weise nicht nur die
Aufgabe den Erkenntniszweifel nachzuvollziehen, sondern darueber
hinaus die Aufgabe diesen Zweifel zu begreifen und seine Folgen
schoepferisch und konstruktiv zu verwerten.
Eines ist es in Demut und Aufrichtigkeit die
Beschraenktheit, wenn nicht gar die Hinfaelligkeit des eigenen
Wissens einzugestehen, etwas anderes ist es diese Einsicht und
Eingestaendnis mit dem fortwaehrenden Gebrauch, mit dem
fortwaehrenden Verlass auf dies Wissen zu vereinbaren. Denn im
Falle von Sokrates bezog sich das Nichtwissen vornehmlich auf
sophistische Behauptungen und auf die theoretischen Gebilde mit
welchen man diesen begegnete. Bei Descartes war der Zweifel weit
umfassender, und bezog sich bekanntlich auf alles ausserhalb des
unmittelbaren Bewusstseins des eigenen Ich. Dieser Zweifel wurde
dementsprechend dann aber auch sofort durch den Verlass auf einen
guetigen nimmer irreleitenden Gott widerrufen und aufgehoben. Es
liegt in diesem Verlass auf das Goettliche eine tiefe
theologische Wahrheit, welche anderen Ortes erwogen werden soll;
eine Wahrheit jedoch welche, ihre Gueltigkeit ungeachtet, die
Problematik des Erkenntniszweifels nur verdeckt statt sie zu
loesen oder auch nur zu erlaeutern.
Es gibt fuer den Erkenntniszweifel keine Gebrauchsanweisung,
ebensowenig wie es eine solche fuer den Glauben gibt. Wie der
Glaube das Leben des Glaubenden durchdringt, so durchdringt der
Erkenntniszweifel alle Wissensbemuehungen des Zweifelnden. Der
Erkenntniszweifel beruehrt jedes Element, beruehrt jeden
Bestandteil des Erkenntnisvorganges, und bereinigt das Erkennen
von ungerechtfertigten und unverantwortbaren Voraussetzungen
ueber das Ausmass und ueber die Wirkungskraft des vermeinten
Wissens. Indem der Erkenntniszweifel jeden Wissensbeschluss auf
seine Gueltigkeit, jede Voraussetzung auf ihre Berechtigung
prueft, eroeffnet er gaenzlich neue Perspektiven, welche die
Bahnen zu gueltigerem Wissen offenbaren. Ueberblickt man die
Entwicklung des Wissens, so wird es ja unverkenntlich, dass sich
neues Wissen immer nur aus Zweifel entwickelt. Am Ende ist es
der Erkenntniszweifel welcher den Menschen empfaenglich fuer
neues Wissen gestaltet. Ueberall wo neues Wissen auftritt ist
der Erkenntniszweifel am Werk gewesen; wo man aber an das
Bestehende glaubt, da vermag sich kein neues Wissen zu
entwickeln, und das bestehende Wissen entartet.
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