20020807.00
Im taeglichen Austausch der Worte und Gedanken ist es
ungewoehnlich den Ausdruecken, welcher man sich bedient, eine
separate Begriffsbestimmung beizufuegen, oder gar, als Unterlage
vorauszuschicken. Um des gegenseitigen Verstaendnisses Willen,
beschraenkt man sich im allgemeinen auf gelaeufige, den
Gespraechspartnern wohlbekannte Worte, und ueberlaesst es dem
Zusammenhang in welchen man sich ihrer bedient, ihren Sinn auf
die jeweilig vorliegende Problematik abzustimmen.
Demzufolge mag die ausdrueckliche Definition als ein
Warnungszeichen gelten, dass die angebotenen Gedanken so neu
sind, so gruendlich verschieden von herkoemmlicher Ueberzeugung
dass die gewohnten Ausdruecke nicht mehr stark genug sind sie zu
uebertragen. Die Begriffsbestimmung ist im allgemeinen mehr als
nur die Bestaetigung bestehender Deutungen; sie dient zur
Verwandlung, wenn nicht gar zur Erfindung der Sprache, fast wie
von neuem.
Es gibt Worte welche man mit verfallenen oder
vernachlaessigten Haeusern vergleichen kann, Gebaeude welche von
einem Bewohner zu diesem, vom naechsten Bewohner zum anderen
Zweck gebraucht worden sind, und die in der Folge
vernachlaessigt, schaebig und abgenutzt, manchmal durchweg
missbraucht worden sind. Unter solchen Umstaenden mag die
Definition als eine Art Rehabilitierung des Wortes gelten, wobei
ein neuer Sinn den alten, verworrenen, halb vergessenen abloest.
Solche Erwaegungen moegen als Einleitung dienen fuer eine
Betrachtung und eventuelle Rehabilitierung der Ausdruecke
subjektiv, Subjekt, Subjektivitaet. Man erinnere sich, dass
diese Ausdruecke von einer Uebersetzung des aristotelischen
"Hypokeimenon" stammen, und urspruenglich zum Hinweis dienten auf
das eine Fundament das verschiedenen Erscheinungen zu grunde
liegt. So gab es eine Zeit da man die Himmelskoerper, Sonne Mond
und Sterne als Subjekte verstand, welche ihre Einfluesse auf die
Welt der Menschen ausstrahlten. Entsprechend betrachtete man die
Seele des Menschen als das Subjekt, als die Unterlage auf welche
die Mannigfaltigkeit seines Lebens gegruendet ist. Als Objekt,
objektiv, Objektivitaet, hingegen, bezeichnete man alles
Zufaellige das dem Subjekt entgegengehalten oder entgegengestellt
wird.
Man mag behaupten, dass der Sinn der Worte Subjekt und
Objekt der selbe geblieben ist. Was sich im Laufe der
Jahrhunderte veraendert hat ist die Bewertung welche den beiden
Polen dieser Begriffsaxe, Subjekt und Objekt, zugemessen wird.
Einst war es das Subjekt das als Anker des Wirklichen galt.
Objektive hingegen bezeichnete das Zufaellige das dem wirksamen
Subjekt anhaftete oder zufiel. Weil das Objektive zufaellig war
liess es das Subjekt in seiner Wirklichkeit und Wesenhaftigkeit
unberuehrt.
Inzwischen hat sich die menschliche Gesellschaft verwandelt.
Mit dem Zunehmen der Bevoelkerungszahl, mit der Erfindung neuer
und wirksamerer Verkehrs- und Mitteilungstechnik ist auch die
Abhaengigkeit der Gesellschaftsmitglieder von einander gewachsen
und die geistige Autonomie des Einzelnen ist entsprechend
geschwunden. Um die neue Wirksamkeit der Gesellschaft zu
ermoeglichen, musste sich der Schwerpunkt des geistigen Lebens
vom Individuum auf die Gruppe verlegen; und dementsprechend wurde
die Autoritaet des Subjekts zu gunsten der Gesellschaft
herabgesetzt, und der gesellschaftliche Konsensus, das
gesellschaftlich Annehmbare und Anerkannte wurde zum Kriterion
der Wahrheit.
Und so steht es heute. Das Subjektive wird als persoenlich,
einseitig, unsachlich, willkuerlich, stigmatisiert; das
Objektive, hingegen, wird als gegenstaendlich, wirklich,
sachlich, tatsaechlich, hervorgehoben. Dass eine so radikale
Verwandlung im Geistesleben, bezeugt von einer vergleichbar
radikalen Verwandlung im Sprachgebrauch, sich nicht reibungslos
abwickeln kann, sollte sich von selbst verstehen. Und die
Komplikationen und Nebenerscheinungen dieser Entwicklung sind das
Korn fuer die Muehlen der zeitgenoessischen Philosophie.
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