20020807.03

     Das Zusammentreffen bei Kierkegaard der Leidenschaft um das
Christentum mit der Leidenschaft um die Innerlichkeit, die
Behauptung Kierkegaards, dass Christentum Innerlichkeit sei, so
scheint mir, hat eine triftige Begruendung in der Geschichte.
Wenn man die theologischen Selbstzeugnisse des Neuen Testaments
woertlich nimmt, und warum sollte man das nicht, dann findet man
auf der einen Seite die Pharisaeer mit den bedraengenden Gesetzen
von deren Erzwingung sie lebten, und die Menschen deren
Seelenheil in einer erzwungenen, voellig unpersoenlichen
Befolgung der Gesetze aufzugehen schien; und auf der anderen
Seite findet man Jesus der als Sohn Gottes eine persoenliche
Beziehung zum Urheber dieser Gesetze behauptete, und dessen
Sendung darin bestand die Menschen durch die Innerlichkeit des
Glaubens von diesen Gesetzen zu erloesen. Wo das Reich Gottes als
im Inneren, als in der einzelnen Seele bestehend verkuendet wird,
da ist die Erloesung des Menschen, die Hinwendung zu Gott,
zugleich die Wendung ins Innere, die Verinnerlichung.  Der Erfolg
der Reformationen bestaetigt die Empfaenglichkeit auch modernerer
Menschen fuer diese Botschaft.

     Was immer der Ursprung der Ueberzeugungskraft des
Christentums gewesen sein mag, so scheint es doch unverkennbar,
dass vor allem in juengster Zeit, - und vielleicht reicht diese
Zeit zurueck zur Reformation oder weiter noch, die Botschaft des
Christentums die Verheissung der Individualisierung des Menschen
vor Gott war, und dies in Jahrhunderten in welchen der Mensch mit
steigend strengerer Unerbittlichkeit in die industrielle und
gesellschaftliche Maschinerie als nur ein unbedeutendes
Bestandteil derselben eingegliedert wurde.

                            * * * * *

Zurueck

Weiter

Inhaltsverzeichnis