20020811.02
"Du sollst deinen Naechsten lieben wie dich selbst." so
etwa uebersetzt Luther. Moeglich, wie Lessing vorschlaegt, ist
jeder sich selbst der Naechste. Wie aber steht es mit dem
Uebernaechsten. Soll man den auch so lieben, wie sich selbst?
Oder darf man, soll man ihn, den Uebernaechsten, vielleicht
verachten und hassen. Wo, um Gottes Willen, finden wir den
Teufel, den zu hassen die zweit heiligste aller Verpflichtungen
ist. Waere der Teufel vielleicht nicht auch manchmal oder sogar
des oefteren der Naechste? Und wie sollte man dann verfahren?
Sollte auch ihm das grosszuegige Liebesgebot zugute kommen? Oder
hat das Gebot zu hassen dann den Vorrang? Die Moeglichkeit, dass
der Teufel zuweilen tatsaechlich der Naechste ist, liegt ja schon
in der mittelalterlichen und lutherischen Lehre vom Walten des
Satans einbegriffen. Muessten wir uns denn so vor ihm fuerchten,
muessten wir Gottes Beistand gegen ihn so flehentlich erbitten
wenn der Teufel uns _nicht_ der Naechste waere?
Ach mit dem Lieben und dem Hassen ist es so eine Sache.
Sind diese Worte denn mehr als Verhuellungen unserer
schicksalshaften Verwirrungen, unserer groessten Leiden? Bin ich
der Einzige der es bemerkt, wie die zwei grossen Forderungen
Kierkegaards einander widersprechen und aufheben: die Forderung
des Subjekt Werdens, der Innerlichkeit und die Forderung den
Naechsten zu lieben? Denn die Innerlichkeit bedeutet ja, dass
der Mensch in sich eingeht, dass er sich von dem Aeusseren, und
das sind die anderen Menschen, zurueckzieht, sich von ihnen
abschottet? Und ist nicht diese leidenschaftliche Absonderung
von den Menschen etwas anderes als die Vorstufe der
Feindseligkeit.
Das Lieben ist ein heikles Unterfangen. Die Griechen hatten
bekanntlich drei Worte dafuer: eros, agape und philia. Es
bezeugt unsere Stumpfheit, dass wir uns mit einem einzigen
begnuegen. Viele Fragen draengen sich auf. Ist der Eros eine
unabaenderliche Begleiterscheinung oder gar Vorbedingung der
geschlechtlichen Fortpflanzung? Oder ist der Eros die
Rueckwirkung (Reaktion) auf die Hindernisse mit welchen Natur und
Gesellschaft die Befriedigung des Geschlechtstriebes erschweren,
wo sie diese nicht gar unmoeglich machen. Bekanntlich behauptet
die moderne Psychoanalyse bewiesen zu haben, nicht nur, dass alle
Erotik Ausdruck des Geschlechtstriebes ist, sondern darueber
hinaus, dass alle Liebe ihrem Wesen nach erotisch ist. Jedoch,
dieser Behauptung zum Trotz: Nichts derartiges ist bewiesen, weil
derartiges nicht beweisbar ist.
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