20020814.00
Hamsun beschreibt das aeussere Gebaren der Menschen, was sie
tun, wie sie aussehen, was sie zu einander sagen. Er beschreibt
was ist, das Wetter, die Landschaft, die Stadt. Aber was die
Menschen denken, sehen und fuehlen, davon berichtet er nur das,
was offenkundig ist, das was der Beobachter wahrzunehmen
vermoechte, was der Journalist wissen muss, um es in die Zeitung
zu setzen. Der Verfasser bleibt psychisch ausserhalb des
Geschehens. Seine Erzaehlung bleibt Berichterstattung, Er sieht
die Menschen leiden. Er leidet nicht mit ihnen. Er sieht die
Menschen leiden, wie man die Tiere leiden sieht. Mit ihnen
leidet man auch nicht. Demzufolge haben die hamsunschen Menschen
etwas Urspruengliches, etwas Naturhaftes, etwas Tierhaftes.
Demzufolge ist in seiner Beschreibung auch etwas brutales, denn
hier ist der seelische Journalismus aufs aeusserste entwickelt;
In jedem der Romane die ich in Konnarock las, ist einer der
beschreiebenen Personen der, sei es als Erzaehler (narrator), sei
es als Beteiligter, ueber und ausserhalb dem Geschehen steht. In
Gedaempftes Saitenspiel war es der Erzaehler, der Protagonist
selbst, seinen Namen habe ich vergessen, aber nicht seine
charakteristische (bezeichnende) Gleichgueltigkeit, welche in
seinem wiederholten Kommentar "Meinetwegen" mit welchem er sich
von den tragischen schicksalhaften Fehlschritten seiner
Mitmenschen abwendet. "Meinetwegen", so what, for all I care,
ein Ausdruck aus Hamsuns eigenem Munde, ein Ausdruck seines
eigenen Gemuets. "Meinetwegen" ist auch Hamsuns Reaktion zum
Nationalsozialismus gewesen. In Stadt Segelfoss ist es der
Kuenstler, Willatz Holmsen, IV, welcher diese Gleichgueltigkeit
zum Ausdruck bringt, Seine Kunst stellt ihn ausserhalb und
ueberhalb des Geschehens.
Der Zuschauer der Tragoedie soll, so Aristoteles, von Angst
und Mitleid befangen sein. Angst und Mitleid aber empfindet
weder Hamsun noch der Leser der diese Romane im Sinn und Geist
ihres Verfassers liest. Es mag sein, dass schon der Realismus,
die Wirklichkeitstreue, Angst und Mitleid verscheuchen. Die
griechische Tragoedie war ja alles andere als realistisch.
Vielleicht vermag auch die realistische Tragoedie nicht Angst
noch Mitleid erwecken, weil wir im taeglichen Leben, dem die
realistische Tragoedie so aehnelt, gelernt haben Angst und
Mitleid zu unterdruecken. Dies nur eine Vermutung. Um sie zu
pruefen muesste ich noch einmal Buechners Wozzek lesen, und
Hauptmann Schauspiele, und vielleicht auch Eugene O'Neills A long
day's Journey into the night. Allenfalls ist es gefaehrlich sich
bei so weit reichenden literarischen Urteilen auf sein
Gedaechtnis zu verlassen.
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