20020814.01
Es mag sein, dass Dunkelheit und Verworrenheit zum Wesen des
philosophischen Schrifttums gehoeren. Der einfache
selbstverstaendliche Satz wird zu philosophischer Mitteilung
nichts taugen. Wird er dennoch ausgesprochen so muss er, wie die
simplen Aussagen der Vorsokratiker, im Nimbus des
Geheimnissvollen erscheinen, denn im Bereiche der Philosophie
wird nur das Geheimnisvolle sinnvoll erscheinen.
Bei Platon ergibt sich die Dunkelheit aus der extravaganten
Unwahrscheinlichkeit der Vorstellungen, bei Aristoteles durch die
Unvollstaendigkeit und Vorlaeufigkeit der Aporien, bei den
Scholastikern durch die dem Erleben unzugaenglichen, und deshalb
unbestimmbaren Begriffe, bei Spinoza durch die impenetrable
geometrische Methode und durch die Willkuerlichkeit der
Begriffssetzungen, bei Leibniz durch die Ausschweifung grundloser
Phantasie, von wegen der Monaden und der praestabilierten
Harmonie, bei Kant durch die furchterweckende rationalistische
Scholastik, bei Hegel durch die dichterische Willkuer der
Konstruktionen. Es ist diese Dunkelheit des philosophischer
Schriften welche den Leser immer wieder ueberascht und
enttaeuscht, die Hans Christian Andersens Maerchen von den
Koenigs neuen Kleidern, zu einem so triftigen Kommentar ueber das
philosophische Schrifttum macht.
Gedanken bestimmter Art entwickeln sich vielleicht nur im
Dunkeln. Oder ist es, dass sie nur im Dunkeln glaubhaft,
ueberzeugend wuerden? Vielleicht gibt es eine Art geistigen
Erlebens welches nur in der Dunkelheit (obscurity) mitgeteilt zu
werden vermag. Ist die Dunkelheit die Vorbedingung der
Mitteilung? Oder ist sie nur eine Folge des Versuches
Schwieriges oder Unerklaerbares zu erklaeren? Wie verhaelt sich
die Dunkelheit der Philosophie zu der Dunkelheit, Unbestimmtheit,
Schwerverstaendlichkeit auf anderen Gebieten, zum Beispiel
Mathematik? Waere es moeglich, dass alle Wissenschaften zu
Philosophie abgleiten, dass sie Philosophie werden, wenn sie
beanspruchen das Unverstaendliche verstaendlich zu machen? Was
ist es ueberhaupt mit der Verstaendlichkeit? Worin besteht sie,
was bewirkt sie? Der logische Positivismus hat bekanntlich den
Versuch gemacht die Unverstaendlichkeit (obscurity)
herkoemmlicher Philosophie als Hebel fuer seine eigene
Bedeutsamkeit einzusetzen: aber was dabei heraus kam, das
wahrhaftig Eindeutige (the truly unequivocal) ist schal und
unbedeutend (trivial) bis zur Laecherlichkeit.
Dennoch scheint es mir moeglich dem philosophischen
Schrifttum bei all seiner Verworrenheit, eine sinnvolle Deutung
zu geben, und dies im besonderen Zusammenhang (in the special
context) seiner Unverstaendlichkeit. Ich habe oft genug darauf
hingewiesen, dass es sich hier, mehr denn als irgendwo sonst, um
die Mitteilung subjektiver Erkenntnis handelt. Subjektive
Erkenntnis aber laesst sich nicht objektiv, sachlich, in
allgemeiner Selbstverstaendlicheit vermitteln. Man mag das
philosophische Schrifttum als eine Art Dichtung deuten, welche
dazu abgerichtet ist, das anderweitig unmitteilbare subjektive
Erleben zu vermitteln; wobei die Frage in welchem Masse ihr dies
gelingt zwar aufgeworfen, vorerst aber nicht beantwortet zu
werden braucht.
It is conceivable that philosophic discourse will turn out
to avail itself of an encoded secret language, whose significance
is not discernable from its objective constructions, but which
derives its meaning from the inapparent, subliminal significance
of its statements.
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