20020822.00

     "Ich sag' es dir: ein Kerl der spekuliert,
     Ist wie ein Tier auf duerrer Heide
     Von einem boesen Geist im Kreis herumgefuehrt,
     Und rings umher liegt schoene gruene Weise."
                                         Faust

     Nicht nur der Denker geht, wie Goethe bemerkt, auch das
Denken bewegt sich in Kreisen.  Es findet keine Loesung.  Die
Aenderung die sich einstellt ist nicht die Entdeckung des Ziels
oder die Erfindung der Loesung.  Aenderung stellt sich ein wenn
der Denkende sich selbst entdeckt sich entwickelt, entpuppt,
moeglicherweise sogar durch sein Denken zu etwas anderem
umgeschaffen wird.

     Das Reden, der Vortrag, die literarische Veroeffentlichung
fuehrt auf die Gesellschaft hin.  Das Denken, nenne es
Meditieren, nenne es Beten, fuehrt von der Gesellschaft weg, in
das Innere des Menschen, in die Einsamkeit, fuehrt zu Gott,
fuehrt zu einem von der Gesellschaft abgetrennten Individuum,
fuehrt zum Idioten.  Kein Widerspruch hier: denn es steht schwarz
auf weiss in der Bibel, dass der Einzelne vor Gott ein Idiot ist.

     Der Versuch auszusagen, das in Worte zu kleiden, was der
Mensch in seiner Einsamkeit erlebt, wird nie voellig erfolgreich
sein; denn dieser Versuch beruht auf dem Missverstaendnis, dass
das Erlebte sich beschreiben, sich malen oder zeichnen oder in
anderer Weise gegenstaendlich darstellen liesse.  Aber die
Mitteilung des Erlebten ist letzthin unmoeglich.

     Moeglich aber ist die Mitteilung welche unbewusst und
unscheinbar auftritt, eine Mitteilung welche Angleichung, welche
Homoiosis bewirkt, deren zufolge der Mitteilende und der welche
die Mitteilung empfaengt, in gewissem Masse einander aehnlich
werden.  Diese Angleichung, diese Homoiosis ist aber ihrerseits
wiederum kaum erkennbar und schwer zu beschreiben.

     So mag der Denkende mit einer Spinne verglichen werden, die
einsam ihr Netz spinnt und darauf wartet dass ein anderes
Lebewesen sich darin verfangen moechte.  Hier wird die Metapher
ernst und tragisch.  Denn die Spinne ist ja auf ihr eigenes Wohl,
auf ihr eigenes Ueberleben bedacht; laehmt und toetet und
verzehrt das andere Wesen.  Sollte man den Denker vielleicht als
in vergleichbarem Masse gefaehrlich betrachten?  Dann haette man
vielleich Sokrates doch mit Recht umgebracht.  Wird nicht der
welche die Mitteilung empfaengt auch in gewissem Masse getoetet,
insofern er sein Wesen, von der Mitteilung verwandelt aufzugeben
genoetigt ist?

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