20021013.03
In den juengst vergangenen Tagen habe ich in der Bibliothek
meiner Eltern, die Schriften von Jochen Klepper entdeckt. Ich
hatte sie wohl schon in frueheren Jahren dort bemerkt, hatte mich
ihnen aber nicht genaehert teils wohl wegen einer
aberglaeubischen Scheue vor der Identitaet des auf dem Buchdeckel
eingravierten Vornamens Jochen mit dem meinen, teils aus
Abneigung gegen die Titel. "Unter dem Schatten Deiner Fluegel"
schwebte mir vor als eine froemmelnde Elegie ueber das
Vernichtetwerden im Nazi-Deutschland. "Der Vater" als eine
uebermaessig anspruchsvolle Kooptierung allgemein menschlichen
Erlebens und Schicksals. Von den drei Gruenden war
offensichtlich keiner triftig.
"Unter dem Schatten" beeindruckt mich mit der Sachlichkeit,
Nuechternheit und Ehrlichkeit der Aufzeichnungen ueber den
geistigen und praktischen Haushalt des Schriftstellerdaseins, mit
den Entbehrungen die er hinnehmen, und den Opfern die er bringen
muss, um sich den Ruhm eines bekannten Autors zu erwerben. Die
Bibelsaetze welche der taeglichen Eintragung als Ueberschrift
dienen, bestaetigen meine Vermutungen ueber die Heiligkeit an
sich des geschriebenen Wortes.
"Der Vater" ist ein Buch, dass ich noch nicht zu Ende
gelesen habe, und von dem ich auch heute noch nicht weiss, ob ich
es zu Ende lesen werde, denn ich geize mit meiner Zeit. Das
Genre des historischen Romans scheint mir die Grenzen von
Geschichte und Dichtung zu verwirren und scheint mir verfechtbar
nur unter der inbegriffenen Voraussetzung, dass eine rein
wissenschaftliche Geschichte unmoeglich ist, dass alles was sich
als Geschichte anbietet schon Dichtung ist, selbst wo es sich als
streng wissenschaftlich praesentiert. Aber auch diese These
laesst mich unbefriedigt.
Die Geschichte der Koenigshaeuser und des Adels erscheinen
mir von jeher fragwuerdig, insoweit ich die gesellschaftliche
Stufung als unnatuerlich und gekuenstelt betrachte, eine Ordnung
deren seelische Problematik wenn nicht gar Fehlerhaftigkeit
dargestellt zu werden verlangt, indessen meist, statt der
Darstellung des Trauerspieles das die Adelsgesellschaft
tatsaechlich ist, man mit Erzaehlungen stumpfer Bewunderung
bewirtet wird. Diese Kritik aber scheint mir bei Klepper fehl am
Platze. denn was er bietet ist ein tiefer Einblick in das
Menschenleben, wenngleich aus anderer Perspektive als ich gewohnt
bin es zu betrachten.
Der tiefere Inhalt des Romans fuegt sich aber in den
Zusammenhang menschlicher Beziehungen, wie sie sich am
Eindeutigsten und Eindrucksvollsten in der Vertraulichkeit der
Familie offenbaren. Die Beziehungen zwischen den Gatten,
zwischen den Geschwistern, und vor allem, die der Titel andeutet,
die Beziehungen von Vater und Sohn. Es scheint mir, dass Klepper
hier aus eigenstem Erleben berichtet, dass er eine Beichte
ablegt, wenngleich mit abgewandelten Umstaenden und Einzelheiten.
Was hier beschrieben wird sind die unvermeidlichen
Schwierigkeiten menschlicher Beziehungen, gross, sehr gross
geschrieben in den Ausmassen (Dimensionen) des Koenigshauses. Es
ist ja moeglich, dass Art und Wesen menschlichen Erlebens nur an
den Geschichten und Schicksalen der Grossen erkennbar sind; dass
wir unsere Koenige opfern als beispielhafte Darstellungen eine
Schicksals das uns alle trifft.
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