20021019.00
Es scheint mir sehr weit hergeholt, zu erwaegen, oder gar
vorzuschlagen, dass die Struktur des menschlichen Nervensystems
der Struktur einer Rechenmachine oder eines elektronischen
Rechners (Computers) vergleichbar sein moechte. Aber
naeherliegend ist die Frage, in welchem Sinne und in welchem
Ausmasse die Wirkungsweisen (Funktionen) des Computers, die
Computerprogramme, also, den Gedankenvorgaengen im menschlichen
Gehirn, der Denkungsart des Menschengeistes, entsprechen
moechten, etwa als eine Darstellung, als Entaeusserung gewisser
Funktionen des Gemuets. Und wenngleich es fantastisch ist
vorzuschlagen, das zwischen Computerprogramm und Gedankengang
eine praestabilierte Similaritaet (Korrespondenz) bestuende, so
ist es doch selbstverstaendlich, dass Computerprogramme von
Menschen entworfen werden; und ebenso selbstverstaendlich ist
es, dass das Entworfene so oder anders dem Geist des Entwerfenden
entspricht, und diesem Geist ein Spiegel ist, mittels dessen man
in die Tiefe dieses, des menschlichen Geistes zu blicken vermag.
Entsprechendes moechte man nun auch von der Literatur und von
aller Kunst sonst behaupten. Doch waehrend in der Literatur,
Musik, und in den bildenden Kuensten das Pathos, will sagen, die
Stimmung, das Gefuehl, die Anschauung welche die Kunst bewirkt,
die objektive allgemein erkennbare Struktur des Stoffes, [die
Wort- und Satzbildung im Falle der Sprache, die
Notenzusammenstellung im Falle der Musik, die geometrische
Anordnung im Falle des Bildes,] ueberwiegt, und waehrend in der
Literatur, Musik, und in den bildenden Kuensten die Wirkungsweise
prinzipiell subjektiv ist, [Das Gedicht muss verstanden, das Lied
muss gehoert, das Bild muss gesehen werden,] so liegt die
Wirksamkeit des Computerprogramms ausschliesslich in dessen
objektiv beschreibbarer Gliederung und seinem objektiv
verfolgbaren Verlauf.
Man witzelt mit der Feststellung, "Der Computer denkt." Man
wagt den unangemessenen Vergleich des Computers mit dem Gehirn;
unangemessen weil dem Computer jegliche Subjektivitaet abgeht,
(because the computer lacks all subjectivity). Und der Vergleich
ist anstoessig, weil er die Leidenschaftlichkeit des Denkens (und
des Menschseins) verleugnet. Aber man uebersieht die Tatsache,
dass das Computerprogram dennoch den menschlichen Geist
abspiegelt, dass es sozusagen ein Subjektivitaetsfilter ist, der
alles Inwendige, Subjektive, Gefuehlvolle, Leidenschaftliche des
Denkens absondert, und lediglich dem sachlichen, strukturellen,
mechanischen, objektiven Aspekten des Denkens Ausdruck gibt.
Die sogenannte kuenstliche Intelligenz, (artificial
intelligence) soll diese Eigenschaft des Computerprograms als
Gedankenspiegel ausbeuten. Ohne Zweifel ist das Computerprogramm
als kuenstliche Intelligenz ueberaus wirksam. Schon die
Anwendung des Computers als Rechengeraet dessen Faehigkeit weit
ueber menschliches Denken hinausgeht, ist Beweis. Der Computer
kann viel schneller rechnen als der Mensch es vermag; und ist ihm
in der Manipulation von Symbolen, im Ordnen und Gliedern
begrifflicher Gegenstaende weit ueberlegen. Aber ausgerechnet
wenn man das denkaehnliche Wirken des Computers betrachtet (die
Computersimulation des Denkens), dann wird es klar, dass das
Denken, dass die menschliche geistige Taetigkeit etwas mehr, oder
etwas anderes ist, als das Trennen und Sichten und Zusammenfuegen
von Symbolen. Das symbolhafte Denken ist unabtrennbar in das
Fuehlen und Empfinden, in Erwartung, Hoffnung, Zuversicht, in
Enthusiasmus, Enttaeuschung, und Melancholie verstrickt. Das
Denken entspringt der Leidenschaft und vergeht in ihr. Man sagt
treffend, der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Theoretisch
moechte man auch die Leidenschaftlichkeit begrifflich, symbolhaft
Darstellen, aber eine solche Darstellung koennte nie
erschoepfend, koennte nie ausreichend sein, weil die Leidenschaft
sich nicht begrifflich ausdruecken, sondern nur empfinden laesst;
und weil sie durch kein Symbol und durch keine Konstellation von
Symbolen dargestellt zu werden vermag. Wenn nun einerseits die
Computerprogrammatik mit ihrem raffinierten Wirken, die
wesentlich (essential) Leidenschaftlichkeit des Denkens in Abrede
zu stellen scheint, so dient das raffinierte Wirken des
Computerprogramms zugleich als praechtige Darstellung
(Exposition) des symbolhaften (begrifflichen) Denkens.
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