20021112.00

                   Idealisieren ohn' Unterlass

     Wenn man das Wesen der (menschlichen) Wahrnehmung und des
(menschlichen) Wissens als Idealisierung, als (geistige,
physiologische) Vervollstaendigung der Reize auslegt, so wird man
nicht umhinkoennen auch diese gegenwaertigen unmittelbaren
Gedankenvorgaenge als Idealisierungen zu verstehen.  Und welche
Folgen haette dann diese Einsicht?  Besagte sie, dass diese
letzten Gedanken, diese letzten Schlussfolgerungen, diese
Blueten, Kronen, Fruechte des geistigen Lebens auch  hinfaellig
waeren, so hinfaellig wie all unser anderes Denken von welchem
wir abschaetzig urteilen, dass es die Wirklichkeit nicht
erreicht?  Oder fuehrte diese Einsicht zu dem entgegengesetzten
Beschluss, dass wenn diesem Denken eine gewisse Gueltigkeit
anhaften sollte, das andere verpoente Denken denn auch nicht
gaenzlich sinnlos sein kann?

     Ich meine in dieser Ueberlegung eine Abwandlung des
kartesischen Ringens mit dem eigenen Bewusstsein zu erkennen:
denn wenn ich dieses mein unmittelbares Denken als wahr und
ueberzeugend erkenne, so tue ich dies nicht weil es einer
externen, draussen befindlichen Wirklichkeit entspricht.  Die
Ueberzeugungskraft meiner Gedanken entspringt ihrer
Unmittelbarkeit, entspricht der zwangsmaessigen Lebendigkeit der
Vorstellungen welche in ihnen aufflackern; und diese Flamme der
Ueberzeugung mit welcher die Gedanken brennen, meine ich nun
wiederum als Erscheinung jenes Bewusstseins, jenes cogito zu
erklaren, welche Descartes die unmittelbare Gueltigkeit seines
Daseins verbuergte.

                            * * * * *

Zurueck

Weiter

Inhaltsverzeichnis