20021126.00

     Es ist bemerkenswert wie gedankenlos wir eine Ethik
betreiben welche unsere Erkenntnistheorie unberuecksichtigt
laesst; und wiederum, in welch einfaeltiger Weise wir politische
Ziele verfolgen, welche weder mit unserer Ethik noch mit unserer
Erkenntnistheorie zu vereinbaren sind.  Wenn man es bei dieser
Nachlaessigkeit beliesse, so besagte diese Gleichgueltigkeit,
dass wir unser Denken nicht ernst nehmen, und dass es vielleicht
nicht ernst zu nehmen ist.

     Hingegen scheint es, dass unsere Ethik, als das private
Handeln, statt sich an unseren Einsichten zu richten, sich auf
ein Gemisch unserer Gefuehle, Hoffnungen, Aengste mit den
Gewohnheiten und Voreingenommenheiten der Zeitgenossen gruendet.

     Indessen, erscheint unsere Politik, als das oeffentliche
Handeln, als das Bestreben nach oeffentlicher Wirksamkeit eine
ungereimte und ungehoerige Erweiterung und Verallgemeinerung der
Ethik.

     Die Frage draengt sich auf, wie es moeglich sein sollte,
dass der Mensch der angeblich nichts zu wissen vermag, es sei
denn, dass er nichts weiss; dass dieser Mensch dennoch
beansprucht, und sich berechtigt duenkt das Gute, das Schoene und
das Wahre zu bestimmen.  Die Annahme birgt einen Widerspruch in
den Lehren Platons, der ungeachtet des Bekenntnisses seines
Lehrers Sokrates, nichts als sein Nichtwissen zu wissen, sich
zumutete eine vollkommene politische Ordnung nicht nur
theoretisch zu entwerfen, sondern auch praktisch einzufuehren.

     Man mag versuchen die Wirksamkeit einer Ethik mit dem
Gestaendnis des Nichtwissens zu vereinbaren indem man vorschlaegt
dass es ausgerechnet das oeffentliche, sachliche, objektive
Wissen ist, auf welches man verzichtet, dass dieser Verzicht aber
mit der inwendigen Erkenntnis des ethisch Wertvollen und
subjektiv Notwendigen durchaus vereinbar ist.  Doch wird eine auf
das Subjektive beschraenkte Ethik nicht dazu genuegen ein
oeffentliches Gebilde aufzuziehen.  Aber die Politik, das Wirken
am Allgemeinen, das Zusammenwirken mit anderen Menschen ist
seinem Wesen gemaess unvermeidlich objektiv.

     Es draengt die Politik, und die der politischen Theorie so
nah verwandte Volkswirtschaft als Grenzbestimmung, als Definition
eines neuen Bereiches des Denkens und des Wirkens, zu erkennen;
eines Bereiches der dem kartesischen Bewusstsein den polaren
Gegensatz bietet.  Um diesen Bereich zu beschreiben bedarf es
dann auch eines neuen Ansatzpunktes: das alte kartesische Cogito
ergo sum wirds nicht tun, und der Deus ex Machina mit welchem
Descartes seine von Zweifel zerruetete Welt zu rehabilitieren
koennen meinte, tut's auch nicht.

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