20030110.00 Das Gedicht als Gebet oder als Spiel mit Worten. Dass es unter Umstaenden ein Wortspiel gelten sollte, liegt ja schon in seiner Form, im Reim und Rhythmus, im Stabreim, und besonders, im Falles des Sonetts, in der Versfolge. Ich besinne mich, dass Karl Vietor ein Buch ueber das Sonett in Aussicht hatte. Es ist ein quasi magischer Reiz der von der Form des Gedichtes ausgeht. Magisch, weil eben die Beziehung von Form und Sinn von Struktur und Bedeutung raetselhaft, unscheinbar, inapparent, geheimnisvoll ist. The poem, specifically the sonnet, recapitulates summarizes and epitomizes the mystery of language. in the apparently arbitrary and coincidental conjunction of structure and meaning. the structure being accessible to analysis; the meaning being accessible (only) to intuition, i.e. to a global apprehension. Bekanntlich wird ja auch zuweilen das Gebet, z. B. das Ave Maria zur Formel und wird ohne Bedacht des Inhalts abgeleiert. So scheint es mir auch, im allgemeinen, mit der Liturgie bestellt zu sein. Ueberhaupt ist der anschaulich zu erfassende Inhalt nur muehsam begreiflich; vor allem, weil er seinem Wesen gemaess nicht (direkt) mitteilbar ist; und jegliche Darstellung ein Umschreiben ist, eine Darstellung die nur auf Umwegen zustande kommt. So ist es Sinn und Inhalt des Gedichtes im allgemeinen, und des Sonetts im besonderen, auf die Widersprueche, Geheimnisse, Ungereimtheiten in der Beziehung der Sprache zu dem Erleben das sie zum Ausdruck bringt, hinzuweisen, diese Ungereimtheiten beispielweise darzustellen, Das Spiel mit Worten und mit Buchstaben, ist auch ein wesentlicher Bestandteil des Spracherlebnisses. Das Verhaeltnis von Struktur und Ausdruck kommt nirgends klarer zur Erscheinung als in der Musik, besonders in der Musik des Barocks, wo ein Agglomerat von musikalischen Figuren, Wendungen, Verbindungen in unerklaerlicher Weise zu anschaulicher, wahrnehmbarer und erbaulicher Struktur (Bau, Ganzem) wird. So ist das beim ersten Lesen, auf den ersten Blick, Enttaeuschende und Beleidigende an Vendlers Buch dass es den emotionellen Inhalt der Sonetten zu uebersehen, wenn nicht gar zu verachten scheint, zwar im breiten geistesgeschichtlichen Rahmen ein schwerer Mangel, im Interesse des Lernens jedoch ein wesentlicher Vorteil, insofern es die Aufmerksamkeit kompromisslos auf die technische Struktur der Gedichte lenkt, wobei die Erklaerungsmacht (explanatory power) sowohl als auch die Unzulaenglichkeiten (insufficiencies, Maengel, Grenzen) der stilistischen Analyse blendend in den Vordergrund gestellt werden; und somit nicht so sehr sie Eigenarten dieser spezifischen Sonetten wie das Wesen der Dichtung und Gedichte ueberhaupt ans Licht gezogen werden. Man sollte vergleichtsweise Vendlers Methodik an den Burma Shave Jingles ausprobieren oder an nonsense poetry wie etwa Edward Lears oder Christian Morgensterns Dichtungen. Mit den grossen Themen der Shakespearschen Sonnette, aber, mit der Deutung des Verhaeltnisses oder der Verhaeltnisse von einem Menschen zu einem anderen; mit der Not des Einsamen, mit dem Missverhaeltnis der Gepaarten, mit der Moeglichkeit oder Unmoeglichkeit dieses Missverhaeltnis durch die Geschlechtlichkeit aufzuheben, sei sie homoerotisch oder heteroerotisch, damit kommt Vendler nicht zurande. Die sogenannte Prosa entbehrt den magischen Zauber, entbehrt des Zwanges im Ohr, lacks the auditory compulsion, entbehrt den Zwang des Klanges, welche Reim, Rhythmus, Versmass und Verseslaenge der Poesie, dem Gedicht verleihen. Und dieser Zwang so erklaere ich es mir, dient die Gueltigkeit der Aussage (Botschaft, Message) zu bestaetigen, wenn nur, weil die Worte umso zaeher (tenaciously) im Gedaechtnis haften bleiben. * * * * *

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