20030801.00
Wille und Naturgesetz.
Ueber das Verhaeltnis des Willens zum Kausalitaetsgesetz
Wir beobachten in der Natur, dass ein bestimmtes
Ergebnis unweigerlich, ausnahmslos auf ein bestimmtes
anderes Ereignis zu folgen scheint. Aus dieser Beobachtung
schliessen wir auf die Notwendigkeit der Folge, und diese
Notwendigkeit bezeichnen wir als Gesetz, spezifisch als das
Kausalitaetsgesetz, anderweitig auch als der Satz vom Grunde
genannt.
Die Gesetzmaessigkeit welche wir zu entdecken meinen
liegt aber nicht in der Natur, liegt nicht in der Welt
ausser uns. Die Gesetzmaessigkeit liegt in unserem
Verstaendnis, in unserem Gemuet, und wird von uns auf die
Natur projiziert. Es ist nicht nur Raum und Zeit die der
Mensch nach menschlichen Verhaeltnissen auf die Welt
projiziert; alle Bestaendigkeit, alle Gestalt, alle Form,
alle Verbindungen welche wir in der Natur erkennen zu meinen
sind gleichfalls Entwuerfe unseres eigenen Geistes. Es
handelt sich stets nur um eine Annaeherung, um eine
Approximation die wir entdecken, und die Wirksamkeit
(effectiveness) unseres Wissens entspricht der Qualitaet der
Approximation. Wir haben kein anderes Mass.
Die Gesetzmaessigkeit liegt nicht in der Natur sondern
in unserem Verstaendnis, in unseren Begriffen, in unseren
Schluessen. Denn allen leichtfertigen Ueberlegungen zum
Trotz kennt die Natur keine Gesetze, oder wenn die Natur
Gesetzen unterworfen ist, so sind diese Gesetze uns
jedenfalls unbekannt. Die Gesetze welche wir auf die Natur
projizieren, sind unserer eigenen geistigen Verfassung
entwachsen. Und die Vorstellung (gesetzmaessiger)
Notwendigkeit widerspiegelt zuerst und zuletzt (nichts als)
eine Gebundenheit des eigenen Handelns an dessen
Vorstellung, eine Vorstellung unseres eigenen notwendigen
Handelns wlch Vorstellung wir als Willen bezeichnen.
Letzten Endes ist die Vorstellung der Willensgebundenheit
des eigenen Handelns (nur) Spiegelung und Ausdruck des
Bewusstseins.
Die Handlung, sagen wir, ist an den Willen gebunden,
und entspricht dem Willen als seinem gesetzmaessigen
Ausdruck. Angenommen (vorausgesetzt) dann, dass der Wille
die Handlung bestimmt, so ueberbleibt die Frage, was
bestimmt den Willen? Es ist offenbar, dass wenn die
Handlung von einem Willen bestimmt zu werden bedarf, so
bedarf auch der Wille von einem zweiten, unabhaengigen
vorhergehenden (antecedent) Macht (force) bestimmt zu
werden, welche die Eigenschaften eines Willens besitzt, ein
zweiter Wille also, welcher wiederum der Bestimmung bedarf.
Wenn ueberhaupt ein Wille zugelassen wird, so erscheinen im
Handumdrehen ein zweiter, und ein dritter, ein vierter, und
tatsaechlich eine unendlich Zahl einzelner Willen welche
einander kettenartig bedingen, nicht anders als die
unendliche Reihe der natuerlichen Zahlen. Denn was waere
ein Wille, der sich selbst bestimmt, anders als eine
Handlung, die sich selbst bestimmt? Wenn man voraussetzt,
dass eine Handlung eines Willens bedarf um sie
hervorzurufen, so muss man mit der gleichen Logik annehmen,
das der Willen eines weiteren, frueheren Willens bedarf um
ihn zu erklaeren; worauf und woraus man auf eine grenzenlose
sich ins Unendliche erstreckende Willenskette schliessen
muss, In dieser Reihe wirkt jeder postulierte einzelne Wille
als Handlung, und die Endhandlung selbst erscheint (nur) als
letztes Glied in einer Willenkette; so das der Unterschied
zwischen Handlung und Wille verschwindet Und der gesamte
Willen-Handlungs Vorgang als ein Kontinuum, als ein
ununterbrochenes und ununterbrechbares Geschehen betrachtet
werden muss, welches was sonst immer, unter keinen
Umstaenden als vom Bewusstsein, von der Seele, vom Ich
bestimmt gedeutet werden kann. (denn dann sollte ja die
Handlung selbst als unmittelbar vom Wesen des Menschen
bestimmt gelten, sollte also im entgueltigen Sinne unfrei
sein.) Die Tatsache dieser hypothetischen (hypothetical)
Progression, dieses vorgestellten Fortgangs, dieser
Willenskette, macht der Glaubwuerdigkeit eines unabhaengigen
freien Willens ein Ende.
Ist der Wille aber nicht frei, was ist der Wille dann?
Ein bestimmter, gebundener determinierter Wille ist als
Wille ein Nichts und laesst sich in der Wirkung von einer
Handlung nicht unterscheiden.
Der Wille ist die geistig-koerperliche, die
physiologische-psychologische Vorwegnahme, Erwartung,
Antizipation der Handlung, der Bewegung, der Verwandlung.
Man vermag also den Willen, oder das Gefuehl, das
Bewusstsein des Willens, als psychologische Gegebenheit, als
quasi-neurologische Erscheinung verstehen.
Obgleich das Bewusstsein beflissen ist das Erleben auf
einen einzelnen Augenblick zusammen zu ziehen, zurueck zu
fuehren, so laesst sich beobachten (one may observe) dass
das Erlebnis, zum Beispiel eines lauten Knalls, nicht
augenblicklich, nicht momentan ist, denn man zuckt zusammen
eh der Schall der das Zucken verursacht im Gehoer erklingt,
akustisch wahrgenommen wird. Genauso, aehnlicherweise, ist
es vorstellbar das eine im Entstehen begriffene Bewegung,
oder Handlung irgendeiner Art, im Gemuet/Gehirn sein Prodrom
hat, ein Prodrom das wir als Willen erkennen. Denkbar auch,
dass unter Umstaenden dies Willensprodrom andere daempfende
oder ablenkende Einfluesse ausloest, welche die entstehende
(incipient) Handlung abbricht (abwendet aborts); und dass
solcher Abbruch eine Illusion, den Schein eines Willens
hervorruft.
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