20030823.00 Man muss fuer die Suende Verstaednis aufbringen. wenn man die Tugend begreifen will. Um die sogenannte schoene Literatur zu verstehen muss man auch fuer die haessliche, die schlechte Literatur, die unzuechtige, die Pornographie, ein Organ haben. Um die seelische (psychische, psychologische) Wirkung der schoenen Literatur ermessen zu koennen, muss man sich die seelische Wirkung der schlechten, der Schundliteratur erklaert haben. Denn dass die beiden nichts mit einander zu tun haben sollten, ist ungereimt (implausible), und dass man die eine durch die andere, und nur durch die andere erklaeren, verstehen sollte, ist wahrscheinlich. Worin bestuende der Unterschied zwischen den beiden? Darin dass die eine erfreut und erbaut, dass die andere abstoesst und anekelt. Bemerkenswert auch dass der Unterschied nicht unbedingt ist, dass er sich nicht ohne Frage durchfuehren laesst; dass es von vornherein durchaus nicht klar ist, ob ein gegebenes Schriftstueck vollwertig oder minderwertig ist. Man bedenke nur die Ablehnung von Shakespeares Dramen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, weil sie als gemein und niedrig geschaetzt wurden. Wie auch im Falle Shakespeares, wird manches Stueck den einen erbaulich, den anderen eklig anmuten, und darueber hinaus, dass zuweilen ausgerechnet das Erbauliche in einem Stueck den einen eklig anmutet und dem anderen als grosse kuenstlerische Leistung erscheint. Ich denke an die Pfoertnerszene im Macbeth, von Schiller und anderen Rationalisten als liederlich abgelehnt, und doch meinem Verstaendnis gemaess als Parodie der Hoellenpforte eine Szene von grosser Genialitaet. Die herkoemmliche Frage waere nun was es an dem Erbaulichen ist, das erbaut, und was and dem Ekligen, das anekelt. Auf diese Fragen aber ist keine Antwort zu finden; Buendiger waere zu fragen, was derjenige der der literarischen Erbauung teilhaftig wird, dabei erfaehrt, und wie derjenige der literarischen Ekel empfindet vom Ekel affiziert wird. Weiter ist nachzuforschen, warum zuweilen ein Bild zugleich anwidert und doch grosse kuenstlerische Wirkung ausuebt. Erbaulich ist dem Leser jene Schrift welche sein Wesen, seine Gedanken, seine Gefuehle bestaetigt, und ihn dadurch erhebt, dass sie ihn in eine grosse, scheinbar unbegrenzte, geistig-seelische Gemeinschaft eingliedert; umgekehrt wird ein Mensch von einem Schriftstueck angeekelt, wenn es ihn in einen geistig-seelischen Bereich fuehrt in welchem er sich vereinsamt, befremdet, verloren, bedroht empfindet. when it confronts him with a spiritual environment that is incongenial or hostile to him; in which he feels himself lost and lonely or by which he feels himself threatened. Angeekelt heisst sich ausgeschlossen zu wissen, von der Gemeinschaft welche die Schrift bestaetigt, ohne die Moeglichkeit sich dort einzubuergern. bereft of the possibility Diese Erwaegungen deuten darauf hin, dass die Wuerdigung, der Genuss der Literatur, des Geschriebenen, darin besteht, dass man sich durch sie in die beschriebene Gemeinschaft eingegliedert empfindet. Der Ekel am Geschriebenen ist dadurch erklaert, dass man sich aus der Gesellschaft ausgestossen, und dass man sich von der Gemeinschaft auf welche die Schrift hinweist, angegriffen fuehlt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die literarische Beschreibung oder Bezeichnung welche mir eklig ist, eine Beschreibung einer Welt ist, der ich meinem Wesen gemaess nicht zugehoeren kann, ob ich nun wollte oder nicht. Das als Zote empfundene, der Schmutz, das Unzuechtige zielt auf das Erleben des Einzelnen und wird als ein Angriff auf das Erleben des Einzelnen empfunden. Darum koennen Worte selbst als unanstaendig empfunden werden wenn sie dem Erleben des Einzelnen nicht genuege leisten. wenn sie das Erleben des Einzelnen in Frage stellen. Dies ist besonders der Fall wo der Einzelne noch nicht bereit oder faehig ist seinem Erleben zu begegnen oder ihm Ausdruck zu geben. to confront or express his experience. Alles Lesen fuehrt den Lesenden in eine seelische Landschaft in welcher er sich entweder zu Hause, oder befremdet fuehlt. Zwischen geschriebener und gesprochener Sprache besteht in dieser Hinsicht kaum ein Unterschied. Ich denke mit Bildern ist es vergleichbar. Dass es ueberhaupt allgemeine Begriffe, Vorstellungen des Unzuechtigen gibt, besagt schon in welchem Masse die Gemeinschaft das Fuehlen und Denken des einzelnen beherrscht, und das seelische Leben des Einzelnen bestimmt. Stellt ueber dies die so gepriesene Unabhaengigkeit des Einzelnen von der Gesellschaft in Zweifel. Aus diesen Erwaegungen ergibt sich die Frage wie ein einzelner Schriftsteller, in diesem Falle ich selber, die Grenzen bestimmt welche sein Schreiben einhalten muss um nicht in Unzucht auszuarten. sollte feststellen moegen, (might determine) ob sein Schriftstueck auf den Leser als zuechtig oder unzuechtig einwirken wird. ===================== Es ist dieselbe Frage: Wo hoert der Wunsch sich zu zeigen auf erbaulich zu sein, und faengt an exhibitionistisch zu werden. Und was dem einen instruktiv ist mag in der Tat dem anderen als exhibitionistisch erscheinen. ===================== Die Wirksamkeit der Literatur ins besondere und vielleicht auch der Kunst im allgemeinen laesst sich davon ableiten, dass sie dem Menschen sein seelisches Zuhause bestaetigt. Literatur bewirkt Oikeiosis im tiefsten urgruendigsten Sinne. Hingegen, die Widerwaertigkeit der Schundliteratur geht daraus hervor, dass sie dem Leser seine Beziehungen zur seelischen Gemeinsamkeit stoert, indem sie auf die Tatsache hinweist, dass er den Anspruechen welche diese an ihn stellt nicht gewachsen ist. Die Schundliteratur ist aber vor allem durch eine Diskrepanz im Geschlechtlichen bezeichnet, eine Diskrepanz welche darauf hinweist, dass der Leser dem Geschlechtsstoff nicht gewachsen ist, dass er unfaehig ist ihn zu bewaeltigen, und dass er deshalb aus dem besonderen Bereich der Gemeinschaft welche die Schmutzliteratur zu verkuenden scheint, ausgeschlossen ist. In dieser Perspektive laesst sich auch die Verhuellung erklaeren mit welcher die Literatur gemeiniglich das Geschlechtliche behandelt. Die Verhuellung ist ein Ausdruck der Verlegenheit. welche dadurch zu stande kommt, dass der Leser unfaehig ist mit dem potentiell Enthuellten zu Rande zu kommen. Und die Frage welche sich hieraus ergibt, ist warum es dem Leser unmoeglich ist mit der enthuellten Geschlechtlichkeit zu Rande zu kommen. Das geschlechtliche Erleben ist durchweg subjektiv. Seine Darstellung in der Literatur aber ist objektiv. Die objektive Darstellung stoert das subjektive Erleben. Sie ist unvereinbar mit ihm. Die objektive Darstellung des geschlechtlichen (subjektiven) Erlebens ist widerlich (repugnant); weil die objektive Darstellung dem Subjektiven nicht gerecht zu werden vermag. Warum lesen wir ueberhaupt Literatur welche uns nicht belehrt? Weil sie uns erbaut. Und warum erbaut sie uns? Weil sie uns ein (subjektives) inwendiges Zuhause verspricht. Unzuechtige Literatur erscheint als zuechtig sobald sie belehrend wirkt. Ausserdem verliert die unzuechtige Literatur ihre Anstoessigkeit sobald des Lesers Inwendigkeit, Subjektivitaet nicht von ihr bedroht wird. Die Immunitaet gegen anderweitig unzuechtige Literatur besagt aber eine gewisse Abstumpfung, Verflachung der Gefuehle (Affekte) und diese Verflaechung beurteilt man als minderwertig, als nicht wuenschenswert. Die Empfindungslosigkeit gegen das vermeintlich Unzuechtige scheint eine Verflachung der Innerlichkeit aufzuweisen. Doch scheint mir diese scheinbare Verflachung eben dies, nur Schein. Tatsache ist denn auch, dass die Subjektivitaet uebertrieben werden kann; und dass ein gerechtes Mass der Abstumpfung und Verflachung lebensnotwendig und nicht zu bemaengeln ist. Es ergibt dich also eine Lage der Unbestimmtheit; dass die vollkommene Zuechtigkeit unmoeglich ist, weil der Mensch um ueberhaupt zu leben eines gewissen Masses der "Unzucht", d.h. der Objektivierung des Subjektiven, des Innerlichen, bedarf, und ohne dieses nicht auszukommen vermag. Dass jede objektive Beschreibung verpoent werden mag; obgleich denn ein Mass Objektivierung unabkoemmlich ist. So ist tatsaechlich das gerechte Mass der Objektivierung nicht zu bestimmen; es ergibt dich in jedem Fall je nach den besonderen Umstaenden; und was die Leserschaft aergert, was sie erwarten, und was sie kritiklos akzeptieren ist im Grunde eine Frage der Mode. Es ist aber ein Stilfehler, und kein unwesentlicher, sich bemerkt oder bekannt zu machen, dadurch dass man schockiert. Obgleich das Schockieren dann vielleicht manchmal unerwartet auftritt, und unvermeidbar ist, Hinzu kommt, dass der gegenstaendliche Reiz unbestreitbar dazu dient, und notwendig ist, das geschlechtliche Interesse zu erwecken. Unter welchen Umstaenden nun ist dieser unzuechtig erscheinende Reiz zu verpoenen? * * * * *

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