20050502.00
Die Autobiographie stellt eine ausserordentliche Grenze
zwischen aussen und innen, zwischen dem Objektiven und dem
Subjektiven, zwischen Person und Seele dar. Der Autobiograph ist
versucht diese Grenze zu verkennen. Des Oefteren wird er ihrer
ueberhaupt nicht gewahr.
Die Schwellenfrage (the threshold question) ist in wieweit
es ueberhaupt moeglich oder wuenschenwert ist, das Innere
darzustellen; und worin denn eigentlich eine derartige
Darstellung bestuende.
Der Autobiograph mag nun darum bekuemmert sein, die Persona,
die Maske darzustellen. Damit beginge er einen Irrtum, denn die
Maske ist ja ausgerechnet das, was das Innere verbirgt. Es sei
denn, dass einer so stumpf waere, dass ihm an der Darstellung, an
der Entbloessung des Inneren an der Offenbarin des Inneren
garnichts laege, vielleicht weil er ueberhaupt nicht daran
glaubte. Oder vielleicht sogar, weil ihm daran gelegen waere das
Innere zu verdecken, zu verstecken, um es noch unerforschlicher
zu machen.
Das Innere eines anderen Menschen aber ist unerforschbar.
Zugaenglich ist immer nur das eigene Innere, und auch dies
laesstg sich nicht unmittelbar offenbaren, laesst sich nicht frei
legen, laesst sich nicht bekennen. Das eigene Innere wird
zugaenglich nur indem man in dem anderen Menschen, in dem
schauenden oder hoerenden oder lesenden, ein analoges, eine
aehnliches Schwingen anstimmt, so dass das Innere durch
Mitfuehlen, durch Sympathie angeregt und verstanden wird. Und
dieses Innere, diese Sympathie, dieses intuitive Verstaendnis zu
bewerkstelligen, ist Aufgabe der Kunst, ist Aufgabe, ins
spezifische, der Literatur. Man erreicht dies nicht unbedingt,
oder eigentlich ueberhaupt nicht, dadurch dass man ueber sich
selbst redet oder schreibt, nicht dadurch dass man versucht die
eigenen Gefuehle dem Leser, sozusagen, aufzupfropfen. Man
erreicht es, indem man, mittels der Kunst, beim Leser oder Hoerer
ein entsprechendes Erleben zuendet oder stiftet.
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