20050505.00

     Auch die Mathematik, und besonders sie, bedarf der
Geschichte, bedarf ihrer im tiefgreifendsten Sinne.  Denn die
Vorstellung des "Fortschritts" in der Mathematik besagt einen
ideellen Zustand auf welchen hin die Mathematik sich entwickelt.
Indessen besagt das allgemeine Verstaendnis, dass nicht nur der
Einzelne durch zufall entsteht, sich entwickelt, reift, altert
und stirbt; sondern gleichfalls die Menschen mit ihrer
Geistigkeit.  Dass also auch Mathematik ein historisches
Geschehen im Laufe der Entwicklung und des Verfalls des
menschlichen Geschlechtes ist.  Dass auch sie der Entwicklung,
der Bluete, der Reife und dem Verfall unterworfen sein moechte.
Dass ihre gueltigen und fruchtbaren Methoden keineswegs auf
Beweisfuehrung, sondern auf Anschauung begruendet sind.  Die
formelle Beweisfuehrung stellt dann die Vergesellschaftung der
Anschauung, des unmittelbaren Erkennens dar.

     Es mag einen Mangel meines Verstaendnisses besagen, dass
mathematische Beweisfuehrungen mich nicht ausnahmslos
ueberzeugen; wie auch logische Beweisfuehrungen es oftmals nicht
tun.  Infolgedessen ergibt sich die Frage, aus welchen Gruenden,
in welcher Hinsicht, dergleichen Beweisfuehrungen ueberzeugend
sein sollten.  Ist es nur mein Mangel an Fleiss oder Faehigkeit
der mich behindert; oder ist die Triftigkeit der anerkannten
Beweisfuehrungen geringer als es die Ueberlieferung wahrhaben
will?  Hat vielleicht die mathematische Beweisfuehrung eine
unscheinbare politische Komponente; dass ihre Annehmbarkeit auf
unerkannten, unbestimmten stilistischen Formalitaeten beruht;
vielleicht nicht voellig unterschieden vom Zwang der Grammatik.
Jedenfalls ist es mir in meinem so beschraenkten Gesichtsfelde
aufgefallen, wie die vorgeblich unverbruechlichen Regeln der
Arithmetik hinfaellig werden, wenn die jeweilige Basis des
dezimalen Zahlensystems veraendert wird.  Unveraendert bleibt der
geistige Vorgang des Zaehlens, der Addition, Subtraktion, des
Abziehens, der Multiplikation, der Teilung; so auch etwa die
einzelnen Vorgaenge aus denen die Schlussfolgerung, die
Beweisfuehrung besteht.

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