20050506.00

     "Wenn es Goetter gaebe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu
sein. Also gibt es keine Goetter." Nietzsche

     "Wenn es Mathematiker gaebe, wie hielte ich es aus, kein
Mathematiker zu sein. Also gibt es keine Mathematiker."

     Oder wenn nicht so, dann jedenfalls wirkt es beschwichtigend
zu fragen, was es denn bedeutet Mathematiker zu sein, und
inwiefern es sinnvoll waere zu fragen was es heisst, Nicht-
mathematiker zu sein.  Die Frage "Was ist Mathematik?" entspringt
derselben Quelle.  Denn wenn ich Mathematiker waere, wuesste
ich's und brauchte nicht zu fragen.  Dass ich aber frage, besagt,
dass ich nicht Mathematiker bin und dass Mathematik mir als etwas
fremdes, wenn nicht gar bedrohliches begegnet, dass ich es wo
nicht anderweitig, durch dieses Frage bezwingen moechte.

     Es ist aber auch denkbar, dass nicht nur Nicht-Mathematiker,
gleich meiner selbst, es sind, die sich von der Mathematik als
bedroht vorkommen.  Es ist ein bloeder Seefahrer der die
Windsbraut nicht fuerchtet, der Wind und Wellen und die Tiefe des
Meeres verkennt.  Es sollte mich nicht verwundern, wenn auch
Mathematiker, und besonders diese, nicht alle triumphierend die
geistige Welt ueberblickend, sich dann und wann fragen, worin
denn die Mathematik eigentlich bestehe, und worauf sie beruhe.

     Bei dergleichen Betrachtungen stoesst man wieder einmal auf
den Riss (fault, Verwerfung) auf die Verwerfung des inneren gegen
das aeussere Wissen, auf die Unvereinbarkeit der Subjektivitaet
mit der Aussenwelt.  Und man sieht sogleich, dass beide, dass
Inwendige wie das Auswendige unvollkommen und widerspruechlich
sind.  Nichts ist gewonnen (Nothing is gained) durch
Idealisierung oder Verherrlichung des einen oder des anderen.

     Wiederum draengt sich die Frage auf, ob denn diese
Zweiteilung, diese Dichotomie, tatsaechlich, in Bezug auf die
Mathematik sowie auch auf manches andere, das wirksamste
Instrument sein sollte, um das was ich von Tag zu Tag erlebe,
klar zu legen; ob nicht vielmehr eine allgemeine, ungezielte
Kritik, welche von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde jeden
Gedanken, welche jede Behauptung, jede Vorstellung auf ihre
Gueltigkeit prueft, in den Dimensionen, wohlbemerkt, der
Innerlichkeit und der Objektivitaet, ob nicht ein solches
Verfahren (Vorgehen) eintraeglicher, konstruktiver und
erbaulicher ausarten wuerde als das unergiebige Pochen an den
unerschliessbaren Toren der Innerlichkeit.

     Das Nichtkoennen, das Nichtverstehen, das Vergessen sind in
mein Verstaendnis inbegriffen und wirken es zu begrenzen.  Als
Vorlagen moechten gelten: die Unfaehigkeit zu musizieren, die
Unkenntnis der fremden Sprache, die Hilflosigkeit in einer
unbekannten Landschaft.  Das Verlangen auch Mathematik zu
verstehen, m.a.W. Mathematik zu beherrschen ist einer der vielen
Ausdruecke des menschlichen Beduerfnisses sich in der Welt
zurechtzufinden.  Dass es "ausgerechnet" die Mathematik das
Gebiet sein sollte auf welchem dieses Beduerfnis zum Ausdruck
kommt, entspricht dem hohem Wert welcher der geistigen Taetigkeit
angerechnet wird.

     Um zur urspruenglichen Frage zurueckzukehren: die Mathematik
ist ein Phaenomen, ist Erscheinung, ist Offenbarung des in der
Natur gebetteten und der Natur entspringenden menschlichen
Geistes, ein Phaenomen das zugleich eine Uebereinstimmung des
(individuellen) Geistes (Denkens) mit der Natur bezeugt, doch
nicht ohne auf die Beschraenkungen dieser Uebereinstimmung
hinzuweisen.

     Die Unfaehigkeit zur Mathematik ist vergleichbar mit anderen
Unfaehigkeiten, wie etwa, die Einzelheiten des vergangenen Jahres
zu erinnern, Klavier zu spielen, italienisch zu sprechen. Letzten
Endes muss ich mich mit den Begrenzungen des Geistes nicht anders
als mit den Begrenzungen des Koerpers abfinden.

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