20050509.01
Zumindest ist die Debatte ueber die Grundlagen der
Mathematik: Was sind und was sollen die Zahlen? (Dedekind) ein
Versuch, Ausdruck des Bestrebens, mit einer grundlegenden
Paradoxie der Erkenntnis zurande (zurecht) zu kommen. Eben
dadurch dass man ein Verfahren erfindet oder entwickelt welches
die Paradoxie anschaulich macht oder ueber sie in instrumentaler
Weise hinwegleitet, oder beides. Dass man ueber sie
hinweggeleitet wird heisst jedoch keineswegs, dass sie entfernt
oder gar geloest ist. Die Paradoxie wird instrumentalisiert.
Die Aufgabe des Mathematikers ist die Paradoxie durch Behandlung
zu beschwichtigen, und somit dem Schueler neue Widersprueche zu
offenbaren, and deren Behandlung er mit seinen Komilitonen
konkurrierend, aufs neue seine Faehigkeit beweisen kann. So wird
die Mathematik eine Schlachtfeld (battleground) auf welchem
ehrgeizige Menschen um Vorherrschaft mit einander streiten.
Bezeichnend auch dass das Mathematische Denken sich immer
weiter vom Anschaulichen entfernt; in diesem sinne ist es
rekursiv; es besinnt, es stuetzt sich auf sich selbst als
Theorie, als Gedankengebilde.
Das Formelle ist das unanschaulische; formell ist der
Denkvorgang, das Denkverfahren, welches aus dem Geist entspringt
und welches sich aus sich selbst entwickelt, ohne unterstuetzung
von aeusserem oder innerem Schauen. Das Lernen von Mathematik
waere dann eine Abwandlung des Geistes welche ihn zu dergleichen
Aufgabe ermaechtigt.
Paradoxie auch ist das Beduerfnis dem rein Formellen, d.h.
das (neurologisch) automatisch hervorgerufenen, eintretenden und
ablaufenden geistigen Tun anschaulichen Ausdruck zu verleihen;
indessen das anfaengliche Bestreben war das Anschauen durch
ungeschautes, unueberlegtes geistiges Tun zu verdraengen oder zu
ersetzen. Ueberhaupt scheint es, dass die Mathematik bei dem
rein Gedachten verweilen moechte; wo doch schon Kant feststellte:
Begriffe ohne Anschauung sind leer. Oder moechte es sein, dass
die Mathematik ihre eigene synthetische Anschauung entwickelt:
eine virtuelle Anschauung welche im mathematischen Denken die
aktuelle Anschauung ersetzt oder vertritt.
Was uebrigens die Dedekindschen Schnitte anbelangt, so will
mir nicht einleuchten, wie ein Schnitt welcher einer rationalen
Zahl entspricht jemals einer irrationalen Zahl unendlich nah
projiziert zu werden vermag; oder umgekehrt, wie ein Schnitt
entsprechend einer irrationalen Zahl den irrationalen unendlich
Nahe gebracht zu werden vermag. So verstehe ich nicht wieso die
Dedekindschen Schnitte die Irrationalitaet solcher Zahlen jemals
zu entschaerfen vermoechten.
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