20050715.01
Indem ich ueber die Gefahren und ueber die Problematik
des dichterischen sich selbst Offenbarens nachsinne, im
Zusammenhang mit den Betrachtungen, dass wahrheitsgemaesse
Schilderung des Erlebens ein Verrat an der Innerlichkeit,
eine Veraeusserung der Seele ist, und ausserdem Beleidigung
des Bilderverbots der Zehn Gebote, so stosse ich auf die
andere Erwaegung, naemlich, dass letzlich die Darstellung der
Wahrheit schlechthin unmoeglich ist; dass alles Geschriebene
als Wahrheit _und_ Dichtung verstanden werden muss; schon aus
dem Grunde dass die Wahrheit nicht erkenntlich und nicht
sagbar ist, und dass alle Versuche die Wirklichkeit zu
beschreiben unvermeidlich auf eine Pseudo-wirklichkeit
hinauslaufen, welche die Wirklichkeit verdeckt. So scheint
letzten Endes die Kunst (von der wirklichen Natur
unterschieden) als monumentaler Trost, der es uns ermoeglicht
auf das Innere hinzuweisen, obgleich es uns vorenthalten ist,
dieses Innere zu ergreifen; der es uns ermoeglicht auf das
Goettliche zu zeigen, obgleich es uns unmoeglich ist dieses
Goettliche zu erreichen.
Stellt man die Kunst, nicht als Wirklichkeit, sondern
als Weiser auf Wirklichkeit, nicht als Innerlichkeit, sondern
als Weiser auf Innerlichkeit dar, so fallen beide Einwaende
dahin. Die Kunst ist nun nicht mehr Vergehen gegen das
Bildergebot, weil sie sich nicht anmasst eine Wirklichkeit
nachzubilden. Die Kunst ist nun nicht mehr Verrat an der
Seele, weil sie diese nicht darzustellen beansprucht sondern
nur auf sie hinweist. Der Ausdruck "indirection" welcher beim
Computerprogrammieren eine so bedeutende Rolle spielt, mag
hier als vorbildlich gelten.
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