20060603.00
Ueber das eigene Leben, den eigenen Tod, und die eigene Krankheit
Sein eigenes Leben zu besitzen, sein eigenes Leben zu
haben, oder, wie die Deutschen sagen, sein eigener Herr zu
sein, ist der Inbegriff der Freiheit.
Rilke hat darauf hingewiesen dass es aber auch notwendig
ist, seinen eigenen Tod zu haben. Wie dies zu verstehen ist
unklar, wo der Tod die entgueltige Aufloesung des Daseins des
einzelnen Menschen ist. Seinen eigenen Tod haben bedeutet
jedenfalls dies, dass insofern der Tod, oder der Schatten des
Todes ins menschliche Leben hineinragt, dieser Schatten dem
Menschen auch ein eigner sein muss. Es geht jedenfalls aus
Rilkes Gedanken hervor, dass der Mensch der seinen eigenen
Tod entbehrt auch im Leben nicht ganz sein eigener Herr ist.
(Die klassische Beschreibung bei Rilke: der Kontrast zwischen
dem Ahnherrn, dessen Tod ein so langes, lautes Schreien war,
und den ungezaehltens Menschen die, indem sie in dem grossen
Pariser Krankenhaus sterben, zu nichts als Zahlen werden.
In diesem Gesichtsfeld erscheint auch die Krankheit, als
die Bruecke zwischen Leben und Tod als etwas denkbar eigenes.
Der Mensch hat also ein Anrecht nicht nur auf ein eigenes
Leben, nicht nur auf einen eigenen Tod, sondern auch auf eine
eigene Krankheit. Mir scheint, diese Vorstellung der eigenen
Krankheit hat weitreichende Folgen.
Dazu gehoert die neuzeitliche Verfuegung, dass der
Patient als Mitwirkender und als Mitwissender an der diagnose
und Behandlung seines Leidens beteiligt sein sollte;
zugegeben eine im Grunde sich selbst widersprechende
Verfuegung, jedenfalls insofern als der Arzt fuer das
objektive Wissen um die Krankheit verantwortlich sein soll,
und es dieses objektive Wissen sein ist, welches die
Behandlung der Krankheit bestimmen soll. Dieser aber waere
dann nur einer unter vielen denkbaren Widerspruechen.
Jedenfalls sollte man das Beduerfnis des Einzelnen zu
seiner eigenen Krankheit nicht unterschaetzen.
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