20070211.00 Wenn ich sage, dass die christliche Lehre von der Naechstenliebe mir das Gueltigste scheint was je ueber die Ethik geschrieben ist, so komme ich zu diesem Bekenntnis nicht aus frommer oder gar dogmatischer Gesinnung. Im Gegenteil, ich komme zu diesem Bekenntnis nachdem ich so gut ich dies kann, die Kantsche Lehre vom Kategorischen Imperativ durchdacht habe. Ich zweifle an einer vermeintlich erkennbaren Gesetzmaessigkeit der Natur, zweifle vor allem an der behaupteten Gesetzmaessigkeit menschlicher Handlungen; und komme zu dem Beschluss, dass die Behauptung jeglicher Gesetzmaessigkeit die groebste Selbsttaeuschung ist: ein geistiger Betrug an sich selber wenn nicht an anderen. Trotz allem was darueber geschrieben ist, vermag ich bei Kant keine ueberzeugende Ethik zu entdecken. Aus rein empiristischen Erwaegungen, im Geiste des Hippokratischen Naturerkennens, wandte ich mich zu den bestehenden Gesetzen, wie sie von den Richtern erkannt und gedeutet werden, wie sie in den schriftlichen Urkunden niedergelegt sind. Aus solchen Erwaegungen geht hervor, dass bestehende Gesetze unbefriedigend sind in einem Masse, dass man meint es muesse irgendwo anders als in den Gesetzbuechern, eine wahre, eine wirkliche Ethik geben. In diesem Sinn hat Bonhoeffer, zum Beispiel, versucht auf der Grundlage christlicher Lehren eine buendige Ethik zu komponieren. Was aber mich selber anbelangt, so ist es mir nie gelungen eine Ethik zu finden (konstatieren) die widerspruchlos waere, und die nicht groessere Schwierigkeiten bereitete als sie beseitigte. Jegliche Vereinfachung und Reduktion ist mir verdaechtig. Und doch ist es unverkenntlich, dass die Vereinfachung, die Reduktion eine unentrinnbare Eigenschaft unseres Denkens ist. Die Vereinfachung, die Reduktion zu verpoenen ist selbst ein Vereinfachung, und ist deshalb ein logischer Widerspruch. Diesem Phaenomen moechte zu entnehmen sein, dass auch der Widerspruch sinnvoll ist, eine Tatsache laengst der Dialektik bekannt. Ungeachtet der Positivisten, ist der Versuch den Widerspruch zu sagen keineswegs sinnlos; auch das intuitiv (anschaulich) Unsagbare darf - muss letzten Endes verlautbart werden, wie zum Beispiel im Gedicht und in der Musik. Um aber zu dem Ausgangspunkt zurueckzukehren, und zu dem bekannten christlichen Gebot den Naechsten wie sich selbst zu lieben, und die davon untrennbare Frage, wer ist mein Naechster? Vorerst, von jeglichem moralischen Urteil, von jedem Werturteil, von jedem Streit um Gut und Boese abgesehen, betrachte man den Menschen in seiner Zwitterstellung als Einzelwesen das der Gesellschaft des anderen Menschen bedarf. Es ist unvermeidlich (inescapable), dass der andere Mensch - der Naechte - ihm zugleich ein Freund ist, um den er wirbt, und ein Gegner auf den er zwar angewiesen ist, aber der ihn dennoch bedroht. Der Naechste, der andere Mensch ist ihm zugleich Freund und Feind. Heisst dies, dass jeder Mensch der mir nahe kommt mein "Naechster", - in der englischen Uebersetzung, mein "Nachbar" ist? Oder sollte es sein, dass ich keine Verpflichtung habe Menschen zu lieben, die mir nicht nahe sind. Oder waere es von mir verlangt alle Menschen mit denen ich in Beruehrung komme, als meine Naechsten, als meine Nachbarn zu behandeln. Es ist ein ungluecklicher Mensch, der seinen Ehegatten, der seine Eltern oder seine Kinder nicht zu "lieben" vermag, der Mensch der keinen "Freund" hat. Zugleich aber ist der ein ungluecklicher Mensch der sich gegen den, welcher ihn zu verwunden oder zu toeten trachtet nicht zu wehren vermag. Wie aber sich wehren? und noch problematischer, wie die Bande flechten und erhalten die den Menschen mit seinem Mitmenschen verbindet? Wie die Doppelwertigkeit menschlicher Beziehungen bewaeltigen? * * * * *

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