20070220.00 Es sind nun 48 Jahre seitdem ich meinen Aufsatz ueber den Ursprung des Zweifels an der gedeuteten Welt aus dem ethischen und aesthetischen Bewusseins des Menschen verfasste. Dies Thema ist das Zeichen unter dem sich mein ganzes geistiges Leben abgewickelt hat. Wenn ich heute seinen Sinn wiederzugeben mich anstellte, so wuerde ich vorerst nach dem ethischen und aesthetischen Bewusstsein forschen. Vornehmlich nach dem aesthetischen Bewusstsein, denn dies duenkt mich das schwierigere zu deuten. Heute erklaere ich mir das aesthetische Bewusstsein folgender massen. Ich erblicke einen Kreis, oder meine jedenfalls einen Kreis zu erblicken. Die Kreisfoermigkeit des Gebildes ist ein aesthetisches Urteil. Logisch aber, geometrisch und mathematisch, weiss ich mir zu beweisen, dass der Kreis nichts mehr als ein Begriff ist, in seiner physikalischen Verkoerperung nur Schein; dass es in der Natur ein vollkommen kreisfoermiges Gebilde nicht gibt, (moeglicherweise auch nicht geben kann). Der Kreis ist als eine von meinem Geist hervorgebrachte Idealisierung zu verstehen. Unter den unzaehlbaren graphischen und plastischen Idealisierungen in denen sich mein Gefuehls und Gedankenleben abspielt ist der Kreis eine der unmittelbarsten und einfachsten: Der Kreis ist nur ein Beispiel wie die von mir vernommene Welt ausnahmslos nach den Bedingungen und Voraussetzungen meines Geistes gepraegt ist: und dies nicht nur im Bereich des Sehens, sondern gleichfalls im Bereich des Hoerens und des Erinnerns. Das aesthetische Bewusstsein ist meine Ahnung, der Diskrepanz zwischen dem was ich mir einbilde und der nachweislichen Wirklichkeit ausser mir. Dies nicht nur in Bezug auf das was ich sehe, sondern auch in Bezug auf das was ich hoere, und vor allem auf das was ich erinnere oder denke. Das ethische Bewusstsein hingegen ist meine Ahnung und Erkenntnis der Unstimmigkeit zwischen der unbedingten Notwendigkeit meiner Handlung welche mir meine Gegenwart bestimmt, und den Anforderungen der Geschichte, d.h. der begrifflichen Darstellung des Geschehenen, an meine Taetigkeit. Ich neige zu dem Beschluss, dass Kant es sich viel zu einfach und zu leicht gemacht hat mit seiner unmittelbaren Anwendung der Gesetze der "Natur" und der weltlichen Herrscher auf meine unmittelbare Handlung. Denn die Gesetze sind leere Theorie; indessen ist die Handlung das bewusste Sein des Menschen in der Gegenwart und als solches, unentrinnbare und ueberwaeltigende Lebensnotwendigkeit. =============== Wenn ich heute die urspruengliche These bedenke, so ist mir klar, dass ich damals in umwundener Weise die Praemissen der Existenzphilosophie aufstellte, so wie ich sie verstehe. Gewissenhafter und genauer ware zu sagen, dass ich die Praemissen eines von mir erkluegelten Lebensverstaendnisses aufstellte. Denn es ist gewagt und unklug von "Existenzphilosophie" zu schreiben, wo es doch keine bestimmte "Existenzphilosophie" gibt, und das Wort abgerichtet ist das eigene Denken mit der (gesellschaftlichen) Ueberlieferung zu in Einklang zu bringen. Eine solche Verbindung aber taeuscht und wird, wenn man sie weit genug fuehrt, den Sinn des eigenen Denkens verdecken wenn nicht gar aufloesen. Denn welch eine Anmassung von Existenzphilosophie zu reden, als ob ich wuesste was damit gemeint sein soll. * * * * *

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