20080202.02 Wenn ich ueber Ethik nachdenke, so beschaeftigt mich vor allem die Vorstellung dass die grosse allerwichtige Frage: "Was soll _ich_ tun?" in diesen Ueberlegungen ihre Antwort finden moechte. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Frage, "Was soll ich tun?" sinnvoll nur ist unter der Voraussetzung dass mein Tun und Lassen unter meiner Kontrolle geschieht, dass ich zu tun vermag "was ich will", und dass der Wille der meine Handlung bewegt ein "freier" ist. Die zweite einschlaegige Erwaegung betrifft die Einsicht, dass "das was geschieht""einen solchen Vorsprung" "vor underem Meinen" hat, "dass wir's nie einholen, und nie erfahren wie es wirklich aussah." Diese Worte Rilkes bezeichnen die Unwirklichkeit der Vorstellungen mit welchen wir die Welt in der wir leben und uns selber zu begreifen meinen. Wenn nun meine Handlung nicht aus "freiem Willen", sonders aus anderen unscheinbaren (Beweg)gruenden geschieht, und wenn weiterhin weder die begriffene Welt noch die begriffene Handlung endgueltige (ultimate, letzte, aeusserste) Wirklichkeit zu beanspruchen vermag, so ist eine Antwort auf die Frage, "Was soll ich tun?" unmoeglich; und die Ethik muesste dann, wenn ueberhaupt sinnvoll, ganz andere Bedeutung haben. Wenn ich nun, infolge dieses Interesses, versuche mich ueber die Ethik in ihren Anfaengen zu orientieren, so bemerke ich, dass die Nichomachische Ethik ein Text ist, welcher sich, soweit ich bis jetzt gelesen haben, lediglich und ausschliesslich im Bereich der Sprache aufhaelt, ein Gewebe das (selbstverstaendlich) mit der Wirklichkeit in gewisser und doch beschraenkter Beziehung steht; das diese Wirklichkeit keineswegs erschoepft; und unter vielen Umstaenden auch ermangelt, dieser Wirklichkeit gerecht zu werden oder auch nur zu genuegen. Unter diesen Umstaenden ergiebt sich die Frage, angesichts der Unfreiheit des Willens, und angesichts der Entfernung welche jegliche Ethik von der Wirklichkeit trennt, welchen Einfluss auf die Handlung, welche Beziehung zur Handlung die Ethik letzten Endes aufzuweisen vermoechte? Die Antwort auf diese Frage laeuft hinaus auf die Beziehung des Wortes, des Begriffes zum Bewusstsein, zum Erleben. Bedenkt man ganz im allgemeinen die Eigenart der Sprache eine kuenstliche (artificial) synthetische Gedanken- und Lebenswelt zu schaffen, und bedenkt man im besonderen, wie diese synthetische Gedanken (Vorstellungs)welt unsere Handlungen beeinflusst und bestimmt, so sieht man dass die Abwandlung (Modifikation, Veraenderung, Abaenderung) der Vorstellungswelt von Gegebenheit zu Gegebenheit, von Umstand zu Umstand, von Lage zu Lage, (from situation to situation, from case to case) und von Augenblick zu Augenblick die Handlung beeinflusst, wenn nicht gar bestimmt. Dementsprechend ist es nicht die Ausnahme sondern die Regel, dass ein Wort, eine Phrase, ein Satz, ein Absatz, ein Kapitel, ein Aufsatz, ein Buch es vermag, das Verhalten und die Handlungen des Einzelnen zu beeinflussen und grossen Teils zu bestimmen. Es ist das Wesen und Ziel der Gesetzgebung die Handlungen der Gesellschaftsmitglieder zu beeinflussen. Ein Kodex menschliche Handlungen zu beeinflussen und zu bestimmen ist durchaus denkbar (vorstellbar), aber eben mit dem Caveat dass dergleichen Bestimmung stets eine ungefaehre und indirekte bleibt; und dass es unmoeglich ist mittels des Gesetzbuches eine spezifische Handlung vorauszubestimmen, eben weil der Wille nicht "frei", weil die Vorstellung nicht die Wirklichkeit ist, und weil unzaehlige nicht beschreibbare Einfluesse die Handlung jeweils modifizieren. * * * * *

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