20080203.00
Schopenhauer hat recht mit seiner Feststellung, dass
die Welt "meine Vorstellung" ist. Doch ist diese
Festellung unvollstaendig (incomplete) ohne die
Beschreibung des umstaendlichen und verschlungenen
Geflechts von Einfaellen, Gedanken und Begriffen in welchen
diese Vorstellungen bestehen. Wenngleich auch meine
Vorstellungen eine entgueltige Wirklichkeit nicht zu
erreichen vermoegen, so verfuegen sie doch ueber eine
abgeleitete Wirklichkeit niederen oder hoeheren Ranges wie
etwa die Wirklichkeit des Gesetzbuches oder des Lehrbuches,
eine Wirklichkeit welche, trotz aller Fehlerhaftigkeit, auf
mein Denken, auf meine Tun und Lassen wesentliche
Einfluesse ausuebt. Es ist foerderhin (furthermore) mein
Wissen um das Bestehen, und mein Bewusstsein um die
Einfluesse dieser derivaten (derived) Wirklichkeit auf mein
Handeln, welche mir die Illusion der Willensfreiheit
zufluestert.
Es ist keinesfalls Zufall, dass die Regeln der
Wissenschaft und die Regeln der vorgeschriebenen
Handlungsweise mir beide unter dem Namen "Gesetz" bekannt
sind; und es ist denkwuerdig wie vergleichbar die
Ansprueche welche die Gesetze des Staates an meine
Handlungen stellen, mit den Anspruechen welche die Gesetze
der Wissenschaft an mein Wissen oder meinen Glauben
stellen. Wesentlich zu verstehen ist, dass im einen Falle
wie im anderen, das "Gesetz" eine fehlerhafte, hinfaellige
Erfindung des (gesellschaftlichen) Menschengeistes ist;
eine Erfindung die Anspruch nur auf eine sekundaere
gesellschaftlich (welt-historische) Wirklichkeit hat,
niemals aber auf die primaere, individuelle, innere
existentielle Wirklichkeit. Wenn nicht das Hoechste, so
doch ueberaus wertvoll waere zu begreifen, dass diese
sekundaere Wirklichkeit zwar praktisch wirksam, zugleich
aber auch praktisch fehlerhaft ist, und dass zwischen der
sekundaeren Wirklichkeit der Begriffswelt und der primaeren
Wirklichkeit des unmittelbaren Erlebnisses ein qualitativ
absoluter Unterschied besteht.
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